Der indigoblaue Schleier
überhaupt wagen? Hatte sie Senhor Ribeiro Cruz nicht deutlich zu verstehen gegeben, dass sie seinen Dank nicht wünschte? Und noch viel weniger wünschte sie, dass er ihr kleines Paradies mit seiner Gegenwart entweihte. Nein, sie würde ihn sofort wieder fortschicken.
»Dona Amba, wie schön, Euch zu Hause anzutreffen«, begrüßte Miguel sie.
»Leider bin ich im Begriff, aufzubrechen. Ich kann nicht eine Minute für Euch erübrigen.«
»So wartet, bitte!« Miguel stieg von seinem Pferd ab und machte eine halbherzige Verbeugung, bevor er sich den Satteltaschen zuwandte. Er kramte eine Weile darin herum, dann förderte er ein kleines Päckchen zutage. »Ich möchte Euch mit einem kleinen Präsent meinen Dank zeigen.«
»Das ist wirklich sehr freundlich von Euch, aber wie gesagt: Ich bin in Eile. Mein Gemahl«, dabei wies Amba auf den sich entfernenden Akash, »erwartet, dass ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit begleite. Er ist vorgeritten, weil er noch ein anderes Ziel hat.«
Miguel ließ plötzlich die Schultern hängen. Ihr Gemahl? Sie war also tatsächlich verheiratet? Mit einem so schmucken Exemplar von Mann? Er hatte ihn zwar nur im Vorbeireiten gesehen und nicht weiter auf ihn geachtet, aber dass es sich durchaus nicht um den schwächelnden Greis handelte, von dem man munkelte, war deutlich gewesen.
»Nehmt wenigstens mein Geschenk entgegen. Ihr könnt es ja bei Eurer Rückkehr öffnen.«
Amba nickte, um ihm zu verstehen zu geben, dass er nun gehen dürfe. »Danke. Und lebt wohl.«
»Darf ich Euch ein Stück des Wegs begleiten? Ihr fahrt doch bestimmt nach …«, versuchte Miguel es erneut.
»Nein«, blaffte Amba ihn an.
»Nun dann:
Adeus,
sehr verehrte Dona Amba. Ich bin sicher, dass unsere Wege sich wieder kreuzen werden, eines fernen Tages.«
Miguel drückte ihr das Päckchen in die Hände und schwang sich wieder auf sein Pferd. Er gab ihm die Sporen und ritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
Während des ganzen Rückwegs wälzte Miguel einen Gedanken immer und immer wieder hin und her: Sie war verheiratet. Er hatte sich zum ersten Mal in seinem Leben verliebt,
richtig
verliebt, und dann musste es sich ausgerechnet um eine verheiratete Frau handeln. Was sollte er nun tun? Darauf hoffen, dass der sehr vital wirkende Gatte starb? Dona Amba den Hof machen und warten, bis sie seine Liebe erwiderte, um ihr dann vorzuschlagen, sie solle mit ihm durchbrennen? Das waren reichlich unrealistische Ideen. Das Sinnvollste wäre, sie sich aus dem Kopf zu schlagen. Doch Miguels Herz sagte ihm etwas ganz anderes als sein Verstand.
Tagelang hatte er sich überlegt, wie er Dona Amba gegenübertreten sollte, hatte seine Worte einstudiert und seine Gesten. Er hatte sich große Mühe bei seiner Garderobe gegeben und noch mehr mit der Auswahl des Geschenks. Einen golddurchwirkten Schal aus smaragdgrüner Seide hatte er erstanden, sich dabei vorgestellt, wie schön er an ihr aussehen würde. Und wofür? Damit, dass sie ihn so brüsk fortschickte, hatte er nicht gerechnet. Und mit einem Ehemann noch viel weniger. Wie hatte er sich überhaupt dazu hinreißen lassen können, zu glauben, sie könne empfänglich für sein Werben sein? Warum hatte er nicht auf Senhor Furtado gehört? Jede Inderin über fünfzehn ist verheiratet, so hatte er doch gesagt, nicht wahr? Wie hatte er, nach nur einem kurzen Blick in Dona Ambas unergründliche Augen und ihr betörend schönes Gesicht, hoffen können, ihm zuliebe würden jahrtausendealte Gesetze und Gepflogenheiten keine Gültigkeit mehr besitzen? Er war ein Trottel.
Miguel nahm sich fest vor, während seiner bevorstehenden Indienreise keinen einzigen Gedanken mehr an Dona Amba zu verschwenden, sondern sich auf seine eigentlichen Ziele zu besinnen. Er würde sein Talent für Zahlen endlich gewinnbringend und zu seinem eigenen Vorteil einsetzen. Er würde reich werden. Und dann würde er erneut einen Anlauf bei Dona Amba wagen.
Amba saß auf ihrer Veranda und war so verwirrt, dass sie den Schleier hochgeschoben hatte, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob auch kein Beobachter in der Nähe war. Zwei Herrenbesuche an einem Morgen, das war noch nie vorgekommen. Zwei Männer, die sich zweifellos für sie interessierten – und die ihrerseits beide interessant waren. Akash, der Erfahrene, Besonnene, Kultivierte, Humorvolle. Akash, der ihr ganz klar den Hof machte, obwohl er nie ihr Gesicht gesehen hatte, was Amba sehr für ihn einnahm. Er schätzte offenbar den
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