Der indigoblaue Schleier
längst verabschiedet und hielt schon nach neuen Opfern Ausschau.
Als er ein nennenswertes Sümmchen sein Eigen nannte, schickte er Crisóstomo los, um Kunsthandwerk zu kaufen. Je kleiner dabei der Gegenstand und je höher der Materialwert, desto besser: Elfenbeinminiaturen, Goldkästchen oder silberdurchwirkte Stoffe waren gut zu transportieren und würden ihnen einen hohen Gewinn bescheren. Er hatte seinen Burschen genauestens instruiert, wie zu verhandeln sei und was er höchstens ausgeben durfte. Und sein Plan ging auf. Wenn Crisóstomo als Inder einer niedrigen Kaste den Händlern vorjammerte, wie lange er auf dieses oder jenes gespart hatte, um damit die Mitgift seiner armen Schwester aufzustocken, ließen sich erhebliche Rabatte aushandeln. Miguel hätte man ein Vielfaches abgeknöpft.
Dann, kurz vor ihrer geplanten Weiterreise nach Delhi, der Hauptstadt des Mogulreichs, erkrankten beide Reisegefährten an einem heimtückischen Fieber, das in Surat schon zahlreiche Todesopfer gefordert hatte. Dank der Pflege eines gujaratischen Arztes, den Miguel fürstlich entlohnte, überstanden sie dieses Fieber. Geschwächt wie sie waren, war an eine große Reise über Land jedoch nicht mehr zu denken. Sie bestiegen das nächste Schiff, das an der Küste der Arabischen See gen Süden segelte, und beschlossen, sich beim nächsten Versuch einer großen Karawane anzuschließen. Zu zweit, nur von einem Hund beschützt, war dieses riesige, gefährliche Land nicht zu bewältigen.
Nun gab Miguel seinem treuen Panjo durch ein Kopfnicken zu verstehen, er möge bei der Kiste bleiben, die sie mit sich führten. Nicht, dass ernsthaft die Gefahr bestanden hätte, dass sich jemand ihrer bemächtigen wollte. Es war eine unscheinbare, schlichte Holztruhe, die nach den Strapazen der Reise ähnlich mitgenommen wirkte wie ihr Besitzer. Panjo hockte sich vor die Kiste, während Miguel und Crisóstomo sich auf den Weg machten, um eine Kutsche zu finden.
Doch sie hatten ihre Wirkung auf die Menschen in der Zivilisation unterschätzt. Auf dem Schiff war man ihnen mit weniger Misstrauen begegnet als hier, in der reichen Stadt. Kein Kutscher wollte diese merkwürdigen Gestalten zum Solar das Mangueiras fahren, und nicht einmal die Aussicht auf den Silbertaler, den Miguel ihnen dafür bot, überzeugte sie.
»Ich hätte mich ihm gerne anders präsentiert, aber es nützt ja nichts: Wir müssen zu Senhor Furtado. Der wird uns einen Wagen und einen Fahrer geben«, sagte Miguel zu seinem Begleiter.
»Tja, ich hätte mich ihm auch gern anders präsentiert.« Crisóstomo ärgerte sich, dass er seinem einstigen Dienstherrn, bei dem er mit Schimpf und Schande davongejagt worden war, in diesem Aufzug gegenübertreten sollte. Aber er sah ein, dass dies die beste Lösung war. »Lassen wir die Truhe so lange am Kai stehen? Jemand wird sie stehlen.«
Miguel warf einen Blick zurück und sah, dass Panjo sich nicht vom Fleck gerührt hatte. »Das bezweifle ich, Krishna. Du weißt, wie ungemütlich er werden kann …«
Der Junge unterbrach ihn. »Nennt mich ab sofort bitte nicht mehr Krishna,
sahib.
Hier bin ich wieder Crisóstomo.«
»Natürlich, wie gedankenlos von mir.« Miguel fand den indischen Namen für seinen Burschen viel passender, und unterwegs hatte er ihn nur Krishna gerufen. Doch der Junge hatte recht: Hier in der Kolonie sollte er ihn wieder bei seinem christlichen Namen nennen, insbesondere da die Präsenz der Kirche nur noch zugenommen zu haben schien. Auf den Straßen wimmelte es von Mönchen, Nonnen und Pfarrern. An jeder Straßenecke befand sich ein Heiligenschrein, der mit Kerzen beleuchtet und mit Blumengirlanden geschmückt war. »Und du«, fügte er grinsend hinzu, »nennst mich ab sofort nicht mehr
sahib,
sondern Senhor.«
»Verzeiht, Senhor, wie gedankenlos von mir.« Crisóstomo zwinkerte ihm verschmitzt zu. Miguel fand, dass der Junge manchmal etwas vertraulich wurde, und beschloss, dass die Frechheiten bald ein Ende haben mussten. Unterwegs waren sie aufeinander angewiesen gewesen, und Miguel hatte oft einen allzu freundschaftlichen Ton angeschlagen. Aber zurück in der Heimat, die ihm noch immer – oder wieder – fremd war, waren sie keine Gefährten mehr. Sie waren Herr und Diener.
Vor dem Handelshaus Ribeiro Cruz empfing sie ein Bediensteter mit abweisender Miene.
»Mach auf, ich bin Miguel Ribeiro Cruz.«
»Ja, und ich bin der Großmogul Schah Jahan«, erwiderte der Diener ungerührt.
»Ruf deinen Herrn, du
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