Der Infekt
»Dürfte ich Sie kurz um Gehör bitten? Ich möchte gewissen Gerüchten vorbeugen.«
Bildete Cotton es sich nur ein, oder blickte die Ärztin ihn streng an?
»Wie einige von Ihnen vielleicht mitbekommen haben«, fuhr sie fort, »gab es einen Todesfall in der Klinik. Mr Shultz ist in der gestrigen Nacht verstorben. Er bekam plötzlich hohes Fieber. Wir wissen noch nicht genau, wie er sich angesteckt hat, und ob es überhaupt in unserer Klinik passiert ist.«
Cotton hob die Hand. Als Sheffer so tat, als sähe sie ihn nicht, fragte er einfach: »Hat das vielleicht mit den Maden zu tun?«
Sheffer warf ihm einen zornigen Blick zu. »Im Augenblick möchten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen. Tatsache aber ist«, sie hob die Stimme, »dass es ein Problem mit den Bio-Bags gegeben hat, die wir aus der Madenzucht der Columbia University bezogen haben. Bis die Angelegenheit geklärt ist, müssen wir die Madentherapie zu unserem Bedauern aussetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
»So viel zu der angeblichen Allergie«, flüsterte Cotton Mrs Kelly auf dem Weg zu den Tischen zu. »Wenigstens hat die Klinik schnell reagiert und den Fehler eingestanden.«
Mrs Kelly blieb standhaft. »Wo der Fehler wirklich lag, wird ja noch untersucht.«
»Ich werde jedenfalls die Augen offen halten. Wer weiß, was noch alles herauskommt.«
»Sie haben doch Dr. Sheffer gehört. Wollen Sie wirklich herumschnüffeln?« Mrs Kelly verdrehte die Augen. »Ich kann ja verstehen, wenn Sie Ihren aufregenden Bürojob bei der Versicherung vermissen, aber ich bin die schrullige alte Dame. Wenn jemand hier Detektiv spielt, sollte ich das wohl sein.«
Cotton spürte, wie sich seine Kiefermuskeln verhärteten.
Mrs Kelly lachte meckernd über ihren Witz.
6
Donnerstag, 17. Juli, Belfort-Privatklinik
Am nächsten Morgen genoss Cotton in einem gelb-braun gestrichenen Raum die Vorzüge der Apitherapie. Er schluckte einige Kapseln mit Gelée royale, bekam von Schwester Hernandez Honigumschläge auf die Wunde und wurde zur Entspannung auf eine Liege verfrachtet. Die Tür zum zoologischen Labor stand halb offen. Cotton riskierte einen kurzen Blick in das Labor mit seinen Terrarien und Aquarien.
Der Begriff Biomedizin wurde in der Belfort-Privatklinik wirklich großgeschrieben. In den Terrarien hüpften Frösche, bunt wie die Juwelen eines Filmstars, in anderen wimmelten Ameisen und sogar Spinnen. Die Aquarien beherbergten kleine Fische, daneben dümpelten Blutegel in seichtem Wasser dahin.
»Wir lassen die Honig-Propolis-Masse zwei Stunden einwirken. Dann wechsle ich noch mal den Verband.« Hernandez schloss die Tür zum Labor und verschwand wieder.
Zuerst fiel Cotton die erzwungene Untätigkeit schwer. Er grübelte über den Buchmacher nach, der so überraschend wieder auf seinem Radar erschienen war.
Seine Leibwächter schirmten Castelli vor dem normalen Klinikbetrieb ab. Er nahm seine Mahlzeiten auf dem Zimmer ein, das abseits der anderen Patientenunterkünfte lag. Aber wenn man ihm zufällig einmal auf den Fluren der Privatklinik begegnete, grüßte er und benahm sich ausgesucht höflich.
Cotton hatte sich bemüht, ihm aus dem Weg zu gehen. Er wollte nicht unbedingt erkannt werden, und wenn man von dem falschen Namen ausging, wollte Castelli das ebenso wenig.
War er tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen hier? Oder wollte der Wettbüro-Zar in der Klinik ein neues Gebiet abstecken? Biomedizin und Drogen, vielleicht? Es gab Kröten, die Schleim absonderten, der halluzinogene Wirkung hatte.
Und noch etwas ließ Cotton keine Ruhe. Wie war Castelli so kurzfristig an den Platz gekommen, wenn andere lange auf Termine warten mussten?
Seine Leibwächter hatten sich seit Montag im Umfeld der Klinik bewegt. Und am Dienstag war es zu dem folgenschweren Unfall gekommen, durch den ein Therapieplatz frei geworden war …
War Castelli vielleicht für Shultz’ Tod verantwortlich? Würde ein Mann, der ein Vermögen mit dem Leid von Tieren verdient hatte, für sein eigenes Wohl vor einem Mord zurückschrecken?
Der süße Honigduft, der den ganzen Raum erfüllte, wirkte ungemein beruhigend. Cotton fielen die Augen zu.
Irgendwann klappte die Tür. Cotton schreckte hoch. Ein Mann trat ein, in der Hand einen Pappbecher vom Wasserspender. Als dem Mann aufging, dass er sich im Zimmer geirrt hatte, drehte er sich schwungvoll um, wobei paar Tropfen aus dem Becher auf Cottons Hemd landeten.
»Entschuldigung«, sagte der Mann und verließ rasch das
Weitere Kostenlose Bücher