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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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von dem Kagga zu Fall gebracht, als das Tier versuchte, seine Hörner aus dem Baldachin der Sänfte zu befreien.
    Da niemand zu wissen schien, wie man mit einem wildgewordenen Kagga umgehen musste, trat Hael vor. Inzwischen hatte sich das Tier befreit und wirbelte auf der Suche nach einem Fluchtweg herum. Es sah sich jedoch von Menschen umzingelt. Da eine Flucht ausgeschlossen schien, ging es zum Angriff über. Das nächstbeste Ziel war der schlanke junge Mann, der geradewegs auf das Kagga zuging. Das Tier senkte den Kopf und stürmte los.
    Hael beobachtete den Angreifer. An der Neigung des Halses erkannte der Junge, dass er gewohnt war, mit dem linken hinteren Horn zuzustoßen. Daher wich Hael geschickt nach rechts aus und versetzte dem Tier einen heftigen Schlag mit dem Speergriff genau zwischen die Hörner. Als die Waffe gegen den harten Schädel prallte, hallte das Krachen über die Allmende, und einen Augenblick lang blieb das Kagga wie erstarrt stehen. Hael nutzte den Augenblick, packte das rechte Ohr des Tieres, bog es nach vorn und trat kräftig gegen das Vorderbein. Das Kagga fiel auf die Knie und machte einen Versuch, sich zu erheben, der quälende Schmerz am Ohr ließ es aber rasch aufgeben.
    »Bindet es!« befahl Hael den Dienern, die ihn mit offenem Mund anstarrten. Hastig suchten sie inmitten der Sänftentrümmer nach genügend Stricken, um seiner Anweisung Folge leisten zu können. Als das Kagga endlich sicher gefesselt worden war, ließ Hael das Ohr los und erhob sich.
    »Wer bist du?«
    Hael blickte sich nach der Sprecherin um und sah zu seiner großen Überraschung, dass es sich um die Priesterin Shazad handelte. Sie reichte ihm kaum bis zur Brust, obwohl sie einen sonst keineswegs unterentwickelten Körper hatte. Shazad trug grüne Hosen und ein goldfarbenes Mieder, mit feinen goldenen Kamm-Muscheln verziert. Diese Kleidung unterschied sich völlig von der aller einheimischen Frauen.
    »Ich heiße Hael und gehöre … gehörte zum Volk der Shasinn.«
    »Du stammst also von den Inseln im Nordwesten, nicht wahr? Was kannst du noch, außer Kaggas bekämpfen?«
    Bei diesen Worten rieb sie sich die schmerzende Kehrseite und war anscheinend der Meinung, vor den Augen der Menge, die sie geflissentlich nicht beachtete, an Würde verloren zu haben. Sie warf die langen schwarzen Haare zurück und sah Hael aus großen dunklen Augen fragend an.
    Der Junge grinste und stützte sich auf seinen Speer. »Kaggas bekämpft man nicht. Man geht mit ihnen um. Raubkatzen, Pelzschlangen und Langhälse werden bekämpft. Und natürlich menschliche Feinde.«
    »Also bist du sowohl ein Krieger wie auch ein Hirte?«
    »In dem Land, aus dem ich stamme, bedeutet beides das gleiche. Ich habe auch ein wenig vom Seemannshandwerk erlernt, obwohl ich bezweifle, für immer auf See leben zu wollen.«
    »Nun, ich sehe, du verstehst dein Handwerk bedeutend besser als diese wertlosen Sklaven.« Während sie mit ihm sprach, begriff Hael, dass sie kaum älter war als er selbst, wenngleich ihr Gebaren und ihre Blicke einer viel älteren Frau zugestanden hätten. Shazads Stimme klang tief und rauchig.
    Zwei dicke, mit seltsamen Gewändern bekleidete Männer eilten die Tempelstufen herab. Sie waren außer Atem, und ihre Sandalen klapperten auf den Marmorstufen. »Seid Ihr unverletzt, edle Dame?« erkundigte sich der erste mit piepsiger Stimme.
    »Ja«, erwiderte sie barsch.
    Der zweite Mann starrte Hael entsetzt an. »Verneige dich, du Trottel! Die Dame Shazad sollte nicht zu deinesgleichen emporsehen müssen!«
    Hael schenkte ihm einen eisigen Blick. »Wo wart ihr, als das Kagga die Frau umrennen und aufspießen wollte? Ich kann mich nicht entsinnen, irgendeinen dicken Kerl in diese Richtung eilen gesehen zu haben!«
    Der Mann lief dunkelrot an, aber Shazad brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Seid nicht albern, Priester Phulug. Dieser Mann rettete mich vor Verletzungen oder sogar vor dem Tode. Er ist Ausländer, und wir dürfen nicht erwarten, dass er mit unseren Sitten vertraut ist. Selbstverständlich müssen wir die Zeremonie jetzt verschieben.«
    »A-aber«, stotterte der zweite Priester mit hoher Stimme, »heu-heute ist d-doch der vorherbestimmte Tag!«
    »Seht euch das Kagga an!« Shazad wies auf das Tier, auf dessen Stirn Haels Speergriff eine tiefe Wunde hinterlassen hatte. »Ein Opfertier muss ohne Mangel sein. Wir können dem Gott kein blutendes, verwundetes Kagga anbieten. Ein anderes muss aus der heiligen Herde

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