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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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Prozession gingen fette, bartlose Männer, die in Pfeifen und die Gehäuse der Trompetenschnecke bliesen. Hinter ihnen schritten Frauen in hauchzarten Gewändern, die mit Glocken bestückte Tamburine schlugen. Ihre Haare flatterten im Wind, während sie tanzten und sich um die eigene Achse drehten. Ihnen folgten hochgewachsene Männer mit Federkopfschmuck, die hohen, schmalen Trommeln dumpfe Laute entlockten. In der Mitte des Zuges schritten muskulöse starke Männer, die eine Sänfte auf den Schultern trugen. Vor dieser Sänfte verneigten sich sogar die kostbar gekleideten Damen tief.
    Die Menge teilte sich, als der Zug die Allmende betrat und ganz in der Nähe von Haels Standort vorbeikam. Er fragte sich, ob auch er sich verbeugen sollte, aber da ihm diese Ehrenbezeugung fremd war, unterließ er es und neigte nur höflich den Kopf. Zu seiner Verblüffung erblickte er eine junge Frau, die auf zahlreichen Kissen unter dem smaragdgrünen Baldachin der Sänfte saß. Überrascht riss sie bei seinem Anblick die Augen auf und drehte sich noch einmal nach ihm um.
    Hael hoffte, nichts Respektloses getan zu haben. Es schien sich um eine bedeutende Persönlichkeit zu handeln, die an Ehrerbietung gewöhnt war. Unter Umständen würde sie sein Benehmen als Beleidigung deuten. Er hatte nur einen flüchtigen Blick auf die Frau erhascht, doch sie ähnelte keiner der vornehmen Damen, die er bisher gesehen hatte, weder aufgrund ihres Aussehens noch ihrer Kleidung. Sie schien einer völlig anderen Rasse anzugehören.
    Glücklicherweise waren alle Leute offenbar zu beschäftigt mit ihren Verneigungen, um Haels Benehmen zu bemerken. Hinter der Sänfte schritten zahlreiche Diener, die wunderschöne Tiere mit sich führten, die man mit Blumengirlanden geschmückt hatte. Darunter befand sich auch ein prachtvolles, männliches weißes Kagga. Seine Hörner waren vergoldet, und auf dem Rücken trug es eine Netzdecke aus farbigen Bändern, an deren Rand kleine Glöckchen und Troddeln baumelten. Dem Tier war dieser Schmuck jedoch gleichgültig. Es rollte mit den Augen und sprang ängstlich hin und her, während die Diener verzweifelt versuchten, es festzuhalten. Hael empfand es als schmerzlich, ein Kagga so falsch behandelt zu sehen.
    Nachdem die Prozession weitergezogen war und sich auf einen der größeren Tempel zubewegte, ging Hael zum Stand eines Duftwasserhändlers.
    »Ich bin heute zum ersten Mal in der Stadt«, erklärte er. »Könntest du mir sagen, wer die Frau war und was es mit dem Zug auf sich hat?«
    Der Händler betrachtete ihn prüfend. Er trug die gleiche Kleidung wie der Geldwechsler in Turwa, hatte aber keine Brille. »Das war Shazad, die Hohepriesterin des Sturmgottes. Jetzt, da die Sturmzeit begonnen hat, bringt sie in jedem Monat ein großes Opfer dar.«
    »Schenkt man allen Priesterinnen so viel Ehrerbietung?« fragte Hael.
    »Sie ist die Tochter des Edelmannes Pashir, der den Vorsitz über den königlichen Rat führt und ein General der Armee ist. Da sich die Töchter des Königs nie in der Öffentlichkeit zeigen dürfen, ist sie die mächtigste Frau, die wir Bürger je zu Gesicht bekommen.«
    Das hörte sich interessant an. Die Frau hatte Hael sofort in ihren Bann geschlagen, obgleich er nicht wusste, warum. Es hatte an der Art und Weise gelegen, wie sie ihn angestarrt hatte. Langsam schritt er auf den Tempel des Sturmgottes zu, aus dessen Richtung die wilde Musik der Pfeifen, Trommeln, Trompeten und Tamburine drang. Eine Menschenmenge hatte sich rings um die Promenade versammelt, die den Tempel umgab. Die Leute sangen und klatschten im Takt der Musik.
    Gerade, als Hael den Rand der Promenade erreichte, machten sich die Träger daran, die Sänfte von den Schultern zu heben, um sie vor dem Tempel abzusetzen. In diesem Augenblick riss sich das verängstigte Kagga los und stürmte in wilder Panik davon. Dabei riss es vier Träger, die auf der linken Seite der Sänfte standen, von den Beinen. Die Sänfte neigte sich, fiel polternd zu Boden, und die Priesterin stürzte in einem Gewirr von bunten Kissen heraus.
    Ein entsetztes Raunen lief durch die Menge, ob aus Sorge um das Wohlbefinden der Dame Shazad oder aus Angst vor einem bösen Omen, war schwer zu sagen. Das Kagga sprang zwischen den am Boden liegenden Leibern umher, schlug mit den Hufen um sich und stieß mit den Hörnern zu. Sein wütendes Gebrüll übertönte die Schreie der Menschen. Die Priesterin bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen, wurde aber erneut

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