Der italienische Geliebte (German Edition)
hinunterfuhren, begann der Fiat zu schlingern.
»Fahren Sie an die Seite«, sagte Jack scharf. »Da, unter die Bäume.«
Sie hatte Mühe, den Wagen an den Straßenrand zu lenken, dann bremste sie ab. Jack stieg aus und ging neben dem Vorderrad auf seiner Seite in die Knie.
»Verdammte Rostlaube.«
»Was ist es?«
»Die Radmuttern haben sich gelockert. Das müssen die Erschütterungen auf den schlechten Straßen gewesen sein. Ich muss sie festziehen, sonst verlieren wir womöglich das Rad.«
Er ging zum Kofferraum, um nach Werkzeug zu suchen. Freddie stieg aus.
»Kann ich etwas tun?«
»Nein, danke. Erholen Sie sich, vertreten Sie sich ein bisschen die Füße.«
Es goss. Sie holte ihren Regenmantel aus dem Koffer, zog ihn über und klappte die Kapuze hoch. Aus den schwindenden Vorräten nahm sie sich einen Apfel mit und aß ihn, während sie langsam hangabwärts ging. Die Straße wand sich hinab in ein nebliges graues Tal. Ob sie wohl das Meer hätte sehen können, wenn es klarer gewesen wäre? Ihr taten alle Glieder weh vor Müdigkeit und Anspannung. Sie hatte das Gefühl, schon ewig unterwegs zu sein; unter ihren Füßen meinte sie die Bewegung des Wagens zu spüren. Als sie sich einmal umdrehte, hockte Jack immer noch neben dem Fiat. Er würde den Wagen wieder flottmachen, sagte sie sich, dann würden sie noch die letzten Kilometer hinter sich bringen, und sie wäre in Sicherheit.
Sie war der Straße um eine Biegung gefolgt, als sie die Lichter bemerkte. Mit einem Ruck blieb sie stehen, und während sie mit zusammengekniffenen Augen durch die Regenschleier spähte, versuchte sie zu verstehen, was sie da sah.
Das Licht ging von mehreren Autoscheinwerfern aus, und die Autos – zwei oder drei, sie konnte es nicht genau erkennen – standen nebeneinander aufgereiht und versperrten die Straße. Sie warteten auf jemanden.
Einen Moment war sie wie gelähmt, dann rannte sie zurück zum Wagen. Als sie fast da war, stand Jack auf. »Was ist los?«
»Autos – Polizeiautos – auf der Straße. Gleich da unten.«
»Mist.«
»Wir müssen zurückfahren.«
Er schüttelte den Kopf. »Geht nicht.«
Sie starrte ihn an. »Warum nicht?«
»Wir haben unterwegs eine Radmutter verloren und von den restlichen ist eine so verzogen, dass sie nicht mehr passt. Ein Ersatzrad gibt’s nicht. Und außerdem –«, er warf einen Schraubenschlüssel in den Kofferraum, »wenn sie hier eine Straßensperre errichtet haben, dann vielleicht auch noch an anderen Stellen. Es geht nicht anders, wir müssen zu Fuß weiter.«
»Zu Fuß?« Ihre Stimme überschlug sich.
»Es müssen ungefähr fünfzehn Kilometer bis zur Küste sein. Schaffen Sie das?«
Sie nickte nur.
Sie packten den Rest ihrer Lebensmittel in Freddies Koffer und schoben den armen, treuen Fiat in die Bäume, wo er in einen flachen Graben rutschte. Dann marschierten sie durch das Gras die der Straße abgewandte Flanke des Hügels hinunter. Jack mit dem Koffer voraus, Freddie hinterher.
Es war schwieriges Gelände, teilweise buschiges Gras, das in massigen Buckeln wuchs, teilweise steile Hänge, die durch Geröllfelder umso unangenehmer waren. Beim kleinsten Geräusch fuhr Freddie zusammen. Ich habe keine Zeit für kindische Spielchen , hatte sie am Tag zuvor gesagt, doch wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass dieses Abenteuer seine spannenden Momente gehabt hatte. Der gleichmäßige Fluss der Straße unter den Rädern des Wagens, nachts das Mondlicht auf den Bergen – das hatte ihr gefallen.
Aber an dieser Wanderung war nichts, was einem gefallen konnte. Der Regen drang durch ihren dünnen Mantel, ihre Strümpfe waren zerrissen, ihre Sandalen durchweicht. Sie war müde, nass bis auf die Haut, sie fror und sie hatte Angst. Diese Autos auf der Straße hatten sie zu Tode erschreckt. Das war kein Spiel mehr, und je deutlicher ihr die Misslichkeit ihrer Lage wurde, desto mehr bröckelte ihr Widerstand gegen die Angst. Wie leicht hätten sie ahnungslos in die Straßensperre hineinfahren können. Hätte das Rad sich nicht gelockert, hätten sie die Polizeiautos viel zu spät bemerkt. Sie hatten eine Spur hinterlassen, die ihre Verfolger von dem Apotheker in Montecatini Terme zu dem Ladeninhaber in dem kleinen Bergdorf und weiter zu dem Schmied und den Zigeunern im Wald geführt hatte. Es konnte nicht schwer zu erraten gewesen sein, dass sie zur Küste wollten. Bestimmt überwachte die
Weitere Kostenlose Bücher