Der italienische Geliebte (German Edition)
Höhe geschossen war, dass sie schnell einen Kopf größer war als ihre Mutter und Meriel und im Vergleich zu ihnen Riesenfüße bekam. Mit fünfzehn und sechzehn hatte sie sich als plumper, tollpatschiger Trampel gefühlt, wo sie doch so gern klein und zierlich gewesen wäre. Erst als sie entdeckte, dass den Jungen ihre Größe gefiel und ihnen ihre Schuhgröße völlig schnuppe war, fühlte sie sich wohler.
Mrs. Fainlight wollte jetzt zum Abendessen aufbleiben, obwohl sie um diese Tageszeit müde und übellaunig war. Rebecca gab sich Mühe, machte sich zum Essen die Haare und zog sich um, deckte im Esszimmer mit Tischdecke und Servietten. Es deprimierte sie, dass bei diesen Mahlzeiten – abgesehen von Bitten, das Salz herüberzureichen, oder von Fragen, ob das Essen schmecke, die mit widerwilliger Zustimmung beantwortet wurden –, nie ein Gespräch aufkam. Das Klirren des Bestecks, das Scharren eines Stuhls klangen unnatürlich laut in der Stille. Ihrer Mutter schien es ähnlich zu gehen, denn nach den ersten Abenden erlaubte sie, dass Rebecca zum Essen das Radio einschaltete. Selbst die niederschmetternden Nachrichten – die Einnahme Tobruks durch die Truppen der Achsenmächte in der dritten Juniwoche war besonders entmutigend – waren besser, fand Rebecca, als das gelegentliche Klirren der Gläser und das eintönige Ticken der Standuhr.
In der ersten Woche schaute der Arzt jeden Tag vorbei, danach nur noch jeden zweiten Tag. Die Kirche ihrer Mutter sorgte dafür, dass Gemeindemitglieder sie regelmäßig besuchten. In ihrer Gesellschaft zeigte sich Mrs. Fainlight umgänglicher und weniger kritisch.
Einer dieser Besuche war es, der ihren Streit auslöste – nein, ein Streit war es nicht gewesen, dachte Rebecca später, sondern ein Ausbruch lang unterdrückter Bitterkeit. Die Besucherin, eine gewisse Mrs. Macdonald, eine ernsthafte junge Frau mit vorstehenden Zähnen, vielleicht Mitte zwanzig, hatte ihren vierzehn Monate alten Sohn Peter mitgebracht, der gerade das Laufen gelernt hatte und vergnügt im Garten herumwatschelte, wo er sich in Babysprache über die Blumen und die Katze des Nachbarn freute.
Als der Besuch gegangen war, schlief Mrs. Fainlight in einem Sessel im Wintergarten ein. Beim Erwachen eine Stunde später schimpfte sie Rebecca dafür aus, dass sie sie nicht geweckt hatte.
»Ich dachte, die Ruhe täte dir gut, Mama.«
»Du weißt, dass ich abends ewig keine Ruhe finde, wenn ich nachmittags zu lange geschlafen habe. Und du hast die Milch vergessen, sie steht noch draußen im Garten. Wirklich, Rebecca, ich finde das Geld nicht auf der Straße, und wir haben bald keine Marken mehr.«
Rebecca ging in den Garten und holte das Tablett. Dann setzte sie in der Küche Wasser auf und brühte eine Kanne Tee. Als sie ihrer Mutter eine Tasse brachte, sagte diese mit argwöhnischer Miene: »Ich hoffe, du hast nicht die Milch verwendet, die du im Garten gelassen hattest.«
»Natürlich nicht, Mama. Ich habe kalte genommen, aus der Speisekammer.«
Rebecca trank ihren Tee in der Küche. Andere Mütter und Töchter hätten sich zusammengesetzt, dachte sie, und miteinander geredet. Neid und Bitterkeit schossen in ihr hoch. Sie musste irgendetwas an sich haben, überlegte sie, was ihre Mutter ständig ärgerte, vielleicht war es auch einfach eine fundamentale Unvereinbarkeit der Charaktere. Die drei Stunden bis zum Abendessen dehnten sich endlos vor ihr.
Sie holte einmal tief Luft und ging in den Wintergarten. »Wollen wir eine Partie Karten spielen, Mama?«
»Du weißt, dass ich vom Kartenspielen nichts halte, Rebecca.«
»Nur zum Spaß. Ich meinte nicht, dass wir unsere lebenslangen Ersparnisse verspielen sollen.«
Sie hatte es als Scherz gemeint, aber es klang sarkastisch. Ihre Mutter zog die Lippen zusammen. »Du weißt genau, dass du immer um Geld gespielt hast, als du noch mit Milo verheiratet warst.«
»Um ein paar kleine Münzen.«
»Na ja, es gibt immerhin einen gewissen Trost. Wenigstens lässt du jetzt das Glücksspiel sein.«
Rebecca wurde ganz ruhig. »Einen Trost für die Scheidung, meinst du?«
»Ja.« Mrs. Fainlight rutschte unbehaglich in ihrem Sessel hin und her. »Ich habe in der Gemeinde nichts davon erzählt. Ich hielt das für das Beste.«
»Schämst du dich meiner, Mama?«
»Es braucht doch niemand zu wissen.«
»Schon gut. Ich verspreche dir, dass ich die alten Tanten von St. Andrews mit den schmutzigen
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