Der italienische Geliebte (German Edition)
erleichtert, als er schließlich die erleuchteten Fenster der Alten Mühle erblickte.
Das Bild der einsamen Schlittschuhläuferin vom Weiher begleitete ihn den ganzen Abend: diese Entrücktheit, dieses ausdrucksvolle, schöne Gesicht, diese Hingabe an ihren einsamen Tanz. Sie hatte so lebendig ausgesehen. Vor einigen Jahren, im Urlaub an der schottischen Westküste, hatte er hoch über den Klippen einen Steinadler kreisen sehen. Daran hatte Tessa Nicolson ihn erinnert. Aber selbst jetzt arbeitete ein Teil seines Gehirns wie selbstständig weiter und bildete Wörter, die das Bild der jungen Frau verdrängten.
Milo nahm die obersten zehn Seiten seines Manuskripts, riss sie einmal durch und warf sie in den Papierkorb. Dann schraubte er seinen Füller auf und begann zu schreiben.
Tessa war auf dem Rückweg nach London sehr schnell gefahren und deshalb nur mit einer Dreiviertelstunde Verspätung zu ihrer Verabredung mit Paddy Collison gekommen. Nach dem Essen hatten sie noch etwas getrunken, dann war ein halbes Dutzend Freunde zu ihnen gestoßen und sie waren alle zusammen in ein Nachtlokal am Piccadilly gegangen.
Jetzt war es drei Uhr morgens, Tessa, der es drinnen zu heiß geworden war, stand draußen im Hof und rauchte eine Zigarette. Andere Frauen hätten so einen Abend im Kreis von zwei oder drei verflossenen Liebhabern und diversen Verehrern vielleicht schwierig gefunden, Tessa genoss so etwas. Ihr gefiel es, wenn ihre Liebhaber es sahen wie sie, dass die Liebe ein reizvolles und spannendes Spiel war und nicht allzu ernst genommen werden durfte.
Aus diesem Grund waren die Männer, mit denen sie ins Bett ging, meistens älter als sie. Raymond Leavington, zum Beispiel, war dreiunddreißig gewesen, Tessa fünfzehn Jahre voraus, als er ihr Liebhaber geworden war. Sie hatte ihn kurz nach ihrem Abgang von der Westdown-Schule kennengelernt, als sie nach London übergesiedelt war und ihre Karriere als Mannequin und Fotomodell gestartet hatte.
Mit Ray, damals unglücklich verheiratet mit seiner zweiten Frau Diana, war sie sechs Monate zusammen gewesen. Tessa wusste, dass viele den Stab über sie brechen würden, weil sie etwas mit einem verheirateten Mann angefangen hatte, aber sie hatte ein reines Gewissen. Sie legte es nicht darauf an, glücklich verheiratete Männer zu verführen. Sie legte es überhaupt nicht darauf an, zu verführen. Sie sah sich nicht als männermordenden Vamp, sie war einfach Tessa. Es wäre unaufrichtig von ihr gewesen, so zu tun, als wüsste sie nicht, dass Männer sich zu ihr hingezogen fühlten, und als gefielen ihr ihre Nachstellungen nicht, aber sie überließ die Rolle des Jägers ihnen. Sie stellte stets von Anfang an klar, dass sie nicht an einer dauerhaften Beziehung interessiert war. Sie wollte sich nicht binden. Natürlich wusste sie, dass so eine Affäre nicht ohne Risiko war, und versuchte immer vorsichtig zu sein. Trotzdem hatte sie ein paar Mal einen Riesenschrecken bekommen, weil sie glaubte, schwanger zu sein, aber zum Glück war sie mit dem Schrecken davongekommen.
Ray war ein sympathischer, liebenswürdiger Mann und blieb auch nach dem Ende ihrer Affäre ihr Freund. Tessa war das recht, ›Szenen‹, wie sie es nannte – Liebesschwüre und Beteuerungen, dass ohne sie das Leben nicht lebenswert sei – konnte sie nicht ernst nehmen. Ihr war es lieber, wenn die Beziehung zu ehemaligen Liebhabern freundschaftlich blieb. Sie wollte weder verletzen, noch verletzt werden. Die Trennung von Guido Zanetti hatte ihr wehgetan; dass er die Briefe, die sie ihm aus England schrieb, nicht beantwortete, war noch schlimmer. Sie hatte ihre ganze Liebe in diese Briefe gelegt, aber als sie nie eine Antwort erhielt, hörte sie nach einiger Zeit auf, ihm zu schreiben. Sie versuchte, Abstand zu gewinnen, und allmählich sah sie ihre Beziehung zu Guido in einem klareren Licht. Niemals hätte Guidos Familie einer Heirat des ältesten Sohns mit der Tochter der Frau zugestimmt, die die Geliebte seines Vaters, des Firmenchefs, war. Niemals.
Vor vier Jahren, als sie aus Italien fortgegangen war, hatten sie und Guido nicht einmal richtig voneinander Abschied nehmen können. Sie waren von einem Tag auf den anderen auseinandergerissen worden. Ihre Mutter eröffnete ihr und Freddie, dass sie sie beide auf ein Internat in England geben würde, und zur gleichen Zeit schickte Domenico Zanetti seinen Sohn auf eine ausgedehnte Geschäftsreise. Sie mussten einander im Beisein ihrer
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