Der italienische Geliebte (German Edition)
wichtiger war als jeder Mann. Aber so war es. Tessa liebte ihre Arbeit und wusste, dass sie sie gut machte. Sie hatte immer ein Faible für Mode gehabt, wusste, dass sie gerade für Frauen von Bedeutung war, weil stilsichere Kleidung ihnen mit zu dem Selbstvertrauen verhalf, das sie brauchten, um in der Welt ihren eigenen Weg zu gehen. Sie verstand es, ein Kleid so zu präsentieren, dass es am vorteilhaftesten zur Geltung kam, und jenes innere Licht anzuknipsen, das einer Fotografie die Strahlkraft gab, die nötig war, um den Betrachter zu fesseln. Sie liebte alles an ihrer Arbeit, vor allem die Reisen, die mit ihr verbunden waren. Sie war dreimal auf einem Ozeanriesen nach New York gereist und arbeitete jedes Jahr mehrere Monate in Paris. Zuletzt war sie mit einem kleinen Flugzeug dorthin geflogen, das hüpfend auf dem Flughafen Le Bourget gelandet war.
Ihre Karriere hatte beinahe von dem Moment an abgehoben, als sie sich bei der Agentur eingeschrieben hatte. Zunächst hatte sie als Mannequin in Kaufhäusern und bei Modenschauen gearbeitet. Sie hatte für Chanel, Molyneux und Schiaparelli vorgeführt und war inzwischen als Fotomodell sehr begehrt. Sie arbeitete weiter auf dem Laufsteg, posierte aber lieber vor der Kamera, weil es ihrer Neigung zur Schauspielerei entgegenkam. Die Londoner, Pariser und New Yorker Ausgaben der Vogue brachten sie in ihren Modeberichten groß heraus. Sie wusste es zu schätzen, wie ein intelligenter und kreativer Fotograf vom Format Max Fischers aus ihr ein ganz neues Geschöpf machen konnte.
Sie führte ein mondänes und aufregendes Leben voller Abwechslung und verdiente gut, mehr als tausend Pfund im vergangenen Jahr. Modeschöpfer schenkten ihr aufsehenerregende Modelle aus ihrer Kollektion, und seit sie im Rahmen einer Werbekampagne für Coty gearbeitet hatte, schwamm sie in Parfums und Kosmetika. Sie gab das Geld mit vollen Händen aus, sparte wenig, sah keinen Grund, nicht dem Augenblick zu leben. Viele Männer hatten ihr Heiratsanträge gemacht, aber sie war nie versucht gewesen, einen von ihnen zu erhören. Warum sollte sie heiraten, wenn sie alles hatte, was ihr Herz begehrte und dazu noch Unabhängigkeit? Das Zusammenleben mit einem anderen bedeutete Kompromiss und Verzicht, und für beides hatte sie wenig Sinn. Sie lockten Erfolg, Geld und Ruhm, sie wollte reisen und ihr Leben genießen und war überzeugt, dass dem allen eine Ehe nur im Weg stehen würde. Ehemänner sagten ihren Frauen gern, was sie zu tun und zu lassen hatten, sie hatte nicht die Absicht, sich jemals von irgendjemandem Vorschriften machen zu lassen.
Ihren derzeitigen Liebhaber, Paddy Collison, hatte sie auf der Galopprennbahn in Newmarket kennengelernt – Paddy liebte Pferderennen. Er war groß, ein kraftvoll wirkender Mann mit rötlichem Haar und wachsamen braunen Augen, dessen festes Kinn und schmaler Mund energische Entschlossenheit ausdrückten. Paddy, der einen großen Teil seines Lebens im Ausland verbracht hatte, als Leiter von Teeplantagen zuerst in Indien und dann in Kenia, besaß eine Selbstsicherheit, die zu seiner früheren Stellung in den Kolonien passte, und dazu eine ausgesprochen unkonventionelle Seite.
Tessa war beeindruckt von seiner Unerschrockenheit. Er liebte das Risiko und machte sich einen Spaß daraus, die Gefahr herauszufordern. Er hatte die Maschine geflogen, die sie nach Paris gebracht hatte. Fliegen, Reiten, Jagen, Segeln, Schwimmen und sei das Meer auch noch so stürmisch, er gab sich dem allen mit einer Tollkühnheit hin, die keine Furcht kannte.
Tessa erkannte hier eine gewisse Ähnlichkeit mit sich selbst. Viele ihrer Kolleginnen jammerten über Lampenfieber vor einer Modenschau, Tessa war nie auch nur im Geringsten nervös. Sie hatte Andrés Rennwagen mit der gleichen Lust über die Rennbahn von Le Mans gesteuert, mit der sie in Paddys kleiner Maschine nach Paris geflogen war.
Sie blickte zu den Sternen hinauf. Sie, die fast immer unter Menschen war, empfand das Alleinsein als köstliche Befreiung. In Gedanken kehrte sie auf den Weiher hinter Freddies Schule zurück. Es war herrlich gewesen, dort auf dem Eis einsam ihre Kreise zu ziehen, während langsam die Nacht kam und die ersten Sterne den Himmel sprenkelten.
Sie dachte an Milo Rycroft. Ein attraktiver Mann mit seinem zerzausten hellen Haar und den schwerlidrigen Augen. Als ich Sie sah, dachte ich im ersten Moment, ich wäre in eine andere Zeit zurückversetzt worden, ins alte Russland
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