Der italienische Geliebte (German Edition)
der Zug schneller fährt. Ich habe mir blauen Himmel und klares Winterwetter gewünscht. Das ist doch nicht zu viel verlangt.«
Sie küsste ihn auf die kalte Wange. »Ich verzeihe dir das Wetter, Lewis.«
Sie setzten sich in ein Café in der Euston Street. Nachdem Lewis Kaffee bestellt hatte, fragte er Freddie nach ihrer Arbeit. Sie war im vergangenen Monat in eine Fabrik in Slough versetzt worden, wo Flugzeugpropeller hergestellt wurden.
»Ich komme gut zurecht«, sagte sie. »Nur meine Freunde aus Birmingham fehlen mir. Aber es ist angenehm, in einer Pension zu wohnen. Einige der anderen schimpfen über die Zimmer, aber ich bin einfach froh, dass ich nicht mehr in diesem Wohnheim hausen muss. Es ist eine Erleichterung, sein eigenes Zimmer zu haben.«
»Und wie sind die Leute?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ganz in Ordnung.«
»Nein, sind sie nicht.« Lewis lächelte. »Da gibt’s einen Haken, stimmt’s?«
»Ach, es ist langweilig.«
»Keine Angst, du langweilst mich nicht.«
»Doch. Männer interessieren sich nicht für Streitereien unter Frauen. Sie verstehen sie nicht, sie öden sie nur an.«
»Du kannst reden, worüber du willst. Es ist wunderbar, deine Stimme zu hören.«
»Also gut. Aber wenn es dich langweilt, dann sag es. Bei uns arbeitet eine Frau namens Shirley. Keiner mag sie. Wir sind zu fünft in derselben Gruppe. Wenn wir ins Kino gehen oder so, fordern sie Shirley nie auf mitzukommen.«
»Was ist denn so schlimm an ihr?«
»Ach, sie ist nur etwas merkwürdig. Das ist es ja, wenn sie besserwisserisch oder unangenehm wäre, würde ich sie wahrscheinlich auch links liegen lassen. Aber das ist sie nicht. Sie ist nur ein bisschen ungeschickt mit dem, was sie sagt, und sie zieht sich ziemlich scheußlich an und hat eine komische Frisur. Deshalb schließen die anderen sie aus, und ich finde das schrecklich.«
»Du meinst, sie verbünden sich gegen sie? Ich finde es toll, dass du deinen Prinzipien treu bleibst, Freddie.«
»Wirklich?«, fragte sie trübe. »Ich denke ernstlich daran, sie über Bord zu werfen. Sie bringen mir nichts weiter ein, als dass ich in der Pause mit Shirley dasitze, und du hast keine Ahnung, wie sehr sie einem auf die Nerven gehen kann, Lewis.«
Er lachte laut heraus. »Auf meinem ersten Schiff hatten wir auch so einen Kameraden. Was er anfasste, machte er verkehrt, und der Oberleutnant, so ein richtiger Tyrann, hat ihm das Leben zur Hölle gemacht. Mir hat er leidgetan, aber, lieber Gott, er ist auch immer direkt reingetappt.« Er schaute zum Fenster hinaus. »Scheint ein bisschen nachzulassen. Wollen wir los?«
Sie nahmen einen Bus zur Oxford Street. Bei Selfridges suchte Freddie in der Kurzwarenabteilung nach Knöpfen für ihren Regenmantel, fand aber nicht die richtigen. Dann sagte Lewis, er wolle ihr etwas schenken, sie entgegnete, nicht nötig, und daraufhin hatten sie beinahe ihren ersten Streit. Am Ende sagte sie ziemlich ungnädig, also gut, eine Kleinigkeit, aber obwohl sie sämtliche Stockwerke abklapperten, fanden sie nichts Hübsches, was Lewis von Neuem ärgerlich machte. Um ihn zu trösten, schlug sie vor, mittagessen zu gehen.
Im Restaurant trafen sie ein Ehepaar, mit dem Lewis bekannt war, einen Marineoffizier aus Dartmouth und seine Frau, eine hübsche Person mit lockigem braunen Haar, die ein Kind erwartete. Da es sehr voll war, nahmen sie zusammen einen Tisch. Während des Gesprächs, bei dem es hauptsächlich um die Marine ging, merkte Freddie, wie sie innerlich einen Schritt zurücktrat. Bei ihrer zufälligen Begegnung vor drei Monaten im Zug hatte Lewis, so war es ihr damals vorgekommen, eine Verletzlichkeit gezeigt, die ihn ihr umso sympathischer gemacht hatte. Aber als sie ihn jetzt mit seinen Freunden beobachtete, schien er ihr nicht viel anders zu sein, als all die anderen großspurigen jungen Männer, mit denen sie in den letzten Jahren ausgegangen war – gut aussehend, ja, aber zu sehr darauf bedacht, zu beeindrucken, witzig zu sein, sich in Szene zu setzen. Sie spürte, dass auch er sich nicht auf das Gespräch konzentrierte: Immer wieder schweifte sein Blick durch das Restaurant, und wenn er merkte, dass sie ihn ansah, setzte er sein gewinnendes, zuversichtliches Lächeln auf. Sie konnten vielleicht besser miteinander, wenn sie allein waren – oder vielleicht waren sie auch beide nur übermüdet. Es erschreckte sie, sich vor Augen zu führen, wie wenig sie ihn kannte, und es
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