Der italienische Geliebte (German Edition)
erschreckte sie auch, sich einzugestehen, welche Erwartungen und Hoffnungen sie in diesen Tag gesetzt hatte.
Nach dem Essen trennten sie sich von dem anderen Paar. Lewis sagte: »Tut mir leid.«
»Macht doch nichts.«
»Nett, dass du das sagst.« Er schüttelte den Kopf. »Herrgott noch mal, das war wirklich heikel.«
»Warum?«
»Trevor war mit einer anderen verlobt, als wir in Dartmouth waren. Und vor zwei Jahren hat Clare mir dann erzählt, er hätte eine neue Verlobte.«
»Zwei Verlobte?«
»Und jetzt eine Ehefrau. Ich habe keine Ahnung, ob Sally von den anderen weiß. Ich habe wie auf Kohlen gesessen, weil ich dachte, ich würde jeden Moment ins Fettnäpfchen treten.«
Da es nicht aufhören wollte zu regnen, beschlossen sie ins Kino zu gehen und sahen sich am Leicester Square Der Herr in Grau an. Lewis hielt ihre Hand. Neben ihm in der Dunkelheit sitzend erinnerte sie sich wieder, was sie zu ihm hingezogen hatte: Seine Geradlinigkeit und ihr Gefühl, dass er bei all seiner zur Schau getragenen Unbekümmertheit zuverlässig und ernsthaft war. Und sie dachte daran, wie sie im Zug an seiner Schulter erwacht war, und wie beglückend und zugleich friedvoll sie es empfunden hatte. Im wechselnden Licht des Kinosaals sah sie ihn an und versuchte, sich zu erklären, was sie an seiner Erscheinung so sehr fesselte. Er war kein gut aussehender Draufgänger wie Clark Gable, seine Züge hatten eher etwas Koboldhaftes, sie waren wandelbar. Er lächelte schnell, und oft blitzte ein Licht in seinen Augen auf. Ja, vielleicht war es das.
Ohne Worte fiel es ihr leichter, ihm nahe zu sein. Sie wusste, dass sie müde und überreizt war, lange schon, ausgelaugt von den endlosen Arbeitstagen und den ständigen Belastungen und Unannehmlichkeiten des Krieges. Wenn sie müde war, wurde sie ungenießbar, dachte sie, übertrieben kritisch und mit ihrem Urteil schnell bei der Hand. Schlimmer als sittsam : sittsam und zensierend – du lieber Gott.
Es war dunkel, als sie aus dem Kino kamen. Sie gingen Arm in Arm die Charing Cross Road hinunter und flüchteten sich in ein Antiquariat, als es wieder zu regnen begann.
Lewis durchforstete eine Reihe Taschenbuchkrimis, während Freddie in den Regalen stöberte. Ein Name sprang ihr ins Auge, und sie nahm das Buch heraus. Der Umschlag zeigte ein Gemälde, das an den schwärzlichgrünen Zypressen und dem kobaltblauen Himmel unschwer als italienische Landschaft zu erkennen war. Das Buch trug den Titel Ferne, dunkle Hügel und war von Milo Rycroft.
Sie brauchte einen Moment, um den Namen unterzubringen. Dann erinnerte sie sich. Milo Rycroft war ein Freund von Tessa gewesen. Seine Telefonnummer hatte in Tessas Adressbuch gestanden. Er selbst war nicht zu Angelos Beerdigung gekommen, aber seine Frau war da gewesen. Ich dachte, ich sollte ihn vertreten , hatte sie gesagt. Wie hatte sie gleich wieder geheißen? Rebecca, richtig. Rebecca Rycroft.
»Was gefunden?«, fragte Lewis.
Freddie zeigte ihm das Buch. »Meine Schwester kannte ihn.« Sie drehte das Buch in den Händen. »Milo Rycroft«, sagte sie leise zu sich selbst. »An ihn hatte ich gar nicht gedacht.«
»Wie meinst du das?«
Sie sah ihm direkt in die Augen, das Kinn beinahe trotzig erhoben. »Ich nehme an, Marcelle hat dir von Tessa erzählt.«
»Ja, sie sagte etwas. Sie sagte, deine Schwester habe ein Kind gehabt, das gestorben sei. Warum fragst du? Glaubst du, ich sei moralisch entrüstet?«
»Bist du’s?«
»Nein, natürlich nicht.« Er sah gekränkt aus. »Es geht doch hier nicht um ein moralisches Urteil. Überhaupt nicht.«
»Entschuldige.« Sie schämte sich ihres Verdachts. »Tut mir leid, Lewis.«
»Entsetzlich, wenn einem so etwas passiert. Das war das Einzige, was ich gedacht habe.«
Ihr kamen plötzlich die Tränen, und sie musste blinzeln, um sie zurückzudrängen. Er strich ihr über das Haar und streifte ihren Mund mit den Lippen.
Dann nahm er ihr das Buch aus der Hand, schlug es auf und überflog den kurzen Text auf der Innenseite des Umschlags. »Es spielt in der Toskana«, sagte er. »Da lebt deine Schwester doch?«
»Ja.« Wieder hätte sie am liebsten zu weinen angefangen. »Ich habe ständig Angst um sie«, sagte sie. »Ich muss immer an sie denken, obwohl ich mich abzulenken versuche.«
»Wenn sie vernünftig ist… Wenn sie schön den Kopf einzieht…«
»Tessa war nie vernünftig. Und es ist ihr bestimmt in ihrem ganzen
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