Der italienische Geliebte (German Edition)
Leben noch nicht eingefallen, den Kopf einzuziehen.«
»Das klingt zornig.«
»Sie ist einfach weggegangen«, brach es aus ihr heraus. »Sie hat mich einfach im Stich gelassen.«
Er betrachtete sie forschend. »Arme kleine Freddie«, sagte er und küsste sie noch einmal. »Komm, ich kaufe dir das jetzt, und dann gehen wir irgendwohin, wo wir in Ruhe reden können. Ich habe schon eine Idee.«
Sie gingen zu einer Bushaltestelle. »Ich weiß nicht, was du von dem Laden halten wirst«, sagte er. »Ich weiß nicht einmal, ob er noch existiert. Als ich in Winchester war, hat mich meine Tante Kate am Bahnhof abgeholt, wenn das Schuljahr zu Ende war, und ist in dieses komische kleine Café mit mir Mittagessen gegangen.«
Der Bus brachte sie nach Bloomsbury, in die Nähe des Britischen Museums. Das Café befand sich im Souterrain eines hohen Hauses, das, wie alle Häuser in London, aussah, als wäre es einsturzgefährdet. Holzpfeiler stützten das Dach über der Vortreppe, und die Steinstufen zum Kellergeschoss waren geborsten.
Drinnen gab es ein halbes Dutzend Tische. Freddie setzte sich, während Lewis zum Tresen ging. Die Wände waren hinter Regalen voller Bücher verborgen. In einer Ecke stand ein schwarzer Emailleofen mit einem gekrümmten Metallrohr und auf dem Tresen ein russischer Samowar. Das Inventar des Cafés schien sich in einem fortgeschrittenen Zustand der Auflösung zu befinden – die Lederpolster auf den Stühlen waren aufgeplatzt, die Rücken vieler Bücher hingen nur noch an ein paar dünnen Fäden, Regenwasser quoll durch die Ritzen rund um das Fenster.
Eine ältere Frau, in mehrere zerlöcherte Strickjacken gehüllt, das graue Haar zu einem schlampigen Knoten gesteckt, bediente an der Theke.
Lewis bestellte Tee und brachte ihn an den Tisch. »Sonia ist Kommunistin«, bemerkte er mit einer Kopfbewegung zu der Frau in den Strickjacken. »Begeistert, dass Onkel Joe jetzt auf unserer Seite ist. Meine Tante Kate und Sonia waren dicke Freundinnen.«
Er sah sich um. »Als Junge fand ich immer, dass es hier komisch riecht.«
»Nach Holzrauch und Zigarettenasche.«
»Und Kondenswasser und nasser Wolle. Na, wie findest du’s?«
Sie griff über den Tisch und drückte seine Hand. »Wunderbar. Ich könnte Stunden hier sitzen, es ist so schön warm.«
»Das freut mich. Wie alt warst du, als das Kind deiner Schwester gestorben ist?«
»Achtzehn.«
»Noch nicht mal richtig erwachsen. Es muss schlimm für dich gewesen sein, deinen Neffen so zu verlieren.«
Ihr fiel ein, dass das noch niemand zu ihr gesagt hatte. Lewis hatte erkannt, dass auch sie einen Verlust erlitten hatte.
»Es war schrecklich«, sagte sie. »Das Schlimmste war, dass ich die Beerdigung vorbereiten musste. Ich wusste nicht, ob ich es richtig machte – ob Tessa es nicht anders gewollt hätte. Ich hoffe, dass ich nie wieder im Leben so etwas Schreckliches tun muss.«
Sie hatte lange nicht mehr an die Männer gedacht, die damals in Tessas Leben eine Rolle gespielt hatten. Jetzt tat sie es. Sie konnte sich nicht erinnern, Milo Rycroft je in Tessas Wohnung oder in einer der Cliquen erlebt zu haben, mit denen sie sich immer im Ritz oder im Mirabelle getroffen hatte. Was an sich schon interessant war. Das klingt zornig, hatte Lewis gesagt. Ja, sie war zornig auf Tessa gewesen, die sie allein zurückgelassen hatte, zornig, dass sie ihr nie den Namen des Mannes gesagt hatte, der Vater ihres Kindes war. Sie hatte das Gefühl gehabt, selbst wie ein Kind behandelt zu werden, dem man nicht vertrauen konnte. Tessa hatte ihr erzählt, dass sie Angelos Vater geliebt hatte, aber Tessas Liebe hatte, so schien es Freddie, unendliche Zerstörung nach sich gezogen. Selbst zwischen ihnen hatte diese Liebe eine Kluft aufgerissen.
Lewis sagte unvermittelt: »Es tut mir leid, wenn ich heute ein bisschen mürrisch war. Ich kann in letzter Zeit kaum noch schlafen.« Er lachte. »Auf dem Schiff schläft niemand gut – viel zu laut, und dauernd die gestörten Nächte. Aber früher habe ich meistens drei oder vier Stunden geschafft. Das klappt jetzt nicht mehr. Ich liege wach, und in meinem Hirn rattert es unentwegt. Ich versuche, an dich zu denken, Freddie, aber manchmal funktioniert sogar das nicht. Bilder von dir blitzen auf – der Abend im Dorchester, und wie wir uns mal bei Marcelle getroffen haben, weißt du noch?, nur ein, zwei Minuten. Unsere Zugfahrt und der Abend danach. Irgendwie habe ich
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