Der italienische Geliebte (German Edition)
Glück aus den Regalen zogen – langweilige viktorianische Predigten und Abhandlungen über Haushaltsführung. In ihrem Schulkindergekicher löste sich die Anspannung des Tages. In dieser Nacht liebten sie sich in einem pompösen alten Himmelbett. Die Wände des Schlafzimmers waren mit aquamarinblauer Seide bespannt. Lewis’ Umarmung war zärtlich und leidenschaftlich, und hinterher schlief Freddie in seinen Armen ein.
Waren sie an jenem Tag glücklich gewesen? Sie glaubte es, obwohl sie sich später erinnerte, dass Lewis enttäuscht gewesen war: über den mageren Urlaub von achtundvierzig Stunden, den man ihm gewährt hatte, und über das dürftige Büfett im Hotel. Und er hatte nicht gewollt, dass sie wieder arbeiten ging. Sie hatten sich deswegen vor seiner Rückkehr zum Schiff noch gestritten. Sie hatte ihm erklärt, dass es für sie schlimmer wäre, allein in irgendeiner Pension in Portsmouth oder Davenport herumzusitzen, als in die Fabrik zu gehen, und er, in seinem männlichen Stolz gekränkt, hatte ihren Wunsch nach Selbstständigkeit als einen Mangel an Vertrauen zu ihm ausgelegt.
Mrs. Fainlight starb am 11. Mai, drei Tage nach Kriegsende. In ihrem letzten Lebensjahr hatten Rebecca und Meriel sie mit Hilfe einer Nachtpflegerin in ihrem Haus Hatherden versorgt. Dann folgte das traurige Geschäft der Haushaltsauflösung. Sie hatten beide keinen Platz für die großen, schweren Möbel, die ihre Eltern sich bei ihrer Heirat gekauft hatten. Schließlich nahm Meriel ein Teeservice, einige Bilder und einen Stuhl mit einem Gobelinsitzpolster, das ihre Mutter genäht hatte. Rebecca war mehrmals durch das Haus gegangen, um zu sehen, was sie für sich haben wollte. Aber in Wahrheit wollte sie nichts von allem behalten. Das ganze Haus war voller Erinnerungen, die sie nicht wieder aufleben lassen wollte: quälende Langweile, geistige Enge und Freudlosigkeit. Sie entschied sich am Ende für ein paar Gartengeräte und eine Ausgabe klassischer englischer Autoren, die sie als junges Mädchen gern gelesen hatte. Die Gartengeräte waren von guter Qualität, und in den letzten Jahren ihres Lebens hatte ihre Mutter gern mit ihr zusammen im Garten gearbeitet. Die Möbel überließen sie dem WVS , und das Haus wurde verkauft.
Nach dem Tod ihrer Mutter und dem Ende des Krieges fühlte Rebecca sich rastlos. Sie beschloss, nicht auf den Mayfield-Hof zurückzukehren; der Hof war immer nur eine Übergangslösung gewesen – eine Übergangslösung, die sich sieben Jahre lang bewährt hatte –, und sie wusste, dass sie sich neu orientieren musste. Sie begann, sich nach etwas Eigenem umzusehen, aber infolge der extremen Wohnungsknappheit nach Ende des Krieges dauerte ihre Suche mehr als ein Jahr.
Im Herbst 1946 schickte ihr ein Immobilienmakler die Unterlagen zu einem Cottage zwischen Andover und Hungerford. Nachdem sie sich die Schlüssel bei ihm abgeholt hatte, fuhr sie auf schmalen, gewundenen Landstraßen zwischen hohen Hecken durch Hampshire nach Nordwesten. Die Landschaft war eine gefällige Mischung aus Wäldern und Kreidehügeln.
Das Cottage allerdings war wenig gefällig. Ein klobiger kleiner Kasten aus rotem Backstein, in den frühen Zwanzigerjahren erbaut, stellte es fast trotzig seine Reizlosigkeit zur Schau. Allein das Vorhandensein einer Werkstatt gleich daneben hatte Rebecca bewogen, das Anwesen überhaupt zu besichtigen. Sie war aus dem gleichen roten Backstein wie das Hauptgebäude, aber mit Wellblech gedeckt, und war vor dem Krieg eine Schmiede gewesen.
Als sie die Tür aufschloss, flog ein junger Star heraus. Drinnen war es dämmrig und voller Gerümpel; sie hätte eine Taschenlampe mitnehmen sollen. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte sie einen verzinkten Eimer, rostige Werkzeuge und, wie ein Ungetüm aus grauer Vorzeit, eine Egge. Grau verschmierte Aschereste auf den Steinplatten kennzeichneten die Stelle, wo der Amboss des Schmieds einmal gestanden hatte. Dahinter lagen Haufen durchweichter Zeitungen und faulenden Strohs, und durch Löcher im Dach fiel Tageslicht ein. Rebecca fegte eine Spinnwebe weg und wischte mit ihrem Handschuh eine schmutzige Fensterscheibe klar. Licht strömte herein. Sie wusste sofort, dass sie das perfekte Atelier für ihre Glasarbeit gefunden hatte. Aus der hinteren Wand würde ein einziges großes Fenster werden. Ihr Brennofen würde auf den Steinplatten stehen, und ihre Werkbank die ganze Länge der Seitenwand einnehmen.
Das Cottage
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