Der italienische Geliebte (German Edition)
Morgens schaute sie auf ihrem Weg an der Scheune vorbei zu einem Fenster hinauf und bemerkte ein helles Gesicht, das sich aus der Dunkelheit hob. Verwundert blieb sie stehen.
Aus der Scheune rief Connor: »Möchtest du ihn sehen?«
Rebecca zog die Tür einen Spalt auf. »Darf ich?«
»Komm rein.«
Sie trat in die Scheune, einen hohen Raum, in dem es sehr kalt war, kaum wärmer als im Freien. Alle möglichen Werkzeuge lagen auf roh gezimmerten Werkbänken. Der Granitblock stand auf Böcken. Ein monumentales graues Steingesicht mit harten Zügen blickte zu ihr hinunter. Sie hatte das Gefühl, dass der Stein hier lebendig wurde, dass das Geschöpf, das Connor bildete, langsam aus dem Stein heraustrat.
»Wer ist er?«, fragte sie.
»Manannan mac Lir, der Meeresgott der Manx, der Bewohner der Insel Man. Er hat König Cormac von Irland den magischen Pokal der Wahrheit übergeben.«
»Er sieht streng aus.«
»Die Götter sollten streng sein, meinst du nicht, was hätten sie sonst für einen Sinn?« Connor bedachte sie mit einem überraschenden Lächeln, dann griff er zu Hammer und Meißel – ein klares Signal, dass er weiterarbeiten wollte, dachte sie und ging, um ihn nicht länger zu stören. Aber danach schaute sie auf ihrem Weg zum Feld fast immer bei Connor vorbei, um ihm eine Tasse Tee zu bringen und den steinernen Gott zum Leben erwachen zu sehen. Dunkel, nachlässig gekleidet und schweigsam war Connor das genaue Gegenteil von Milo mit seinem hellen Haar, der gepflegten Erscheinung und seiner Gesprächigkeit. Sie fühlte sich in seiner Gesellschaft wohl und kam gern auf einen Sprung bei ihm vorbei, um ihm bei der Arbeit zuzusehen. Er und sein steinerner Gott hatten etwas gemeinsam: eine Präsenz, eine stille Ruhe, die dennoch zu ihr sprach.
Sie fuhr nur einmal, Ende Februar 1939, nach London, um sich beim Anwalt mit Milo zu treffen. Inzwischen war sie nicht mehr gewöhnt, sich zu schminken und elegant in Rock und Jäckchen zu kleiden. Jetzt trug sie Hosen und Pullover und band sich das Haar mit einem Tuch zurück. Während sie sich die Lippen malte, betrachtete sie forschend ihr Gesicht im Spiegel. Sie hatte sich verändert, dachte sie, aber sie wusste noch nicht, in welche Richtung. Milo hatte eingewilligt, bei der Scheidung die Schuld auf sich zu nehmen. Bei der Zusammenkunft wurden Dokumente aufgesetzt und finanzielle Entscheidungen getroffen. Dies also war nun die amtliche Demontage ihrer Ehe, dachte Rebecca, dieses höfliche Gespräch über Vermögen und Unterhalt. Immer wieder einmal sah Milo auf seine Uhr – vielleicht war er mit einer Frau verabredet.
Draußen auf der Straße sprachen sie noch einen Moment miteinander. Milo hatte zugestimmt, ihr die Hälfte aus dem Verkaufserlös der Alten Mühle zu überlassen – Rebecca hatte den Eindruck, dass er das sehr großzügig fand. Sie sollte von diesem Bauernhof wegziehen, sagte er, und sich eine anständige Wohnung kaufen. Aber mir gefällt es auf dem Hof, hörte sie sich in dem gleichen störrischen Ton sagen, in dem sie im vergangenen Sommer in dem Häuschen in Derbyshire zu Harrison Grey gesagt hatte: Mir gefällt es hier. Milo zuckte mit den Schultern. Es seien noch Bücher und Kleider von ihr da – was er mit ihnen tun solle? »Schick mir meine Farben und meine Skizzenbücher«, sagte sie. »Der Rest kann eingelagert werden.«
Dann trennten sie sich, und Rebecca fuhr zum Hof zurück. In ihrem Zimmer legte sie sich aufs Bett und ließ die Ereignisse des Tages noch einmal an sich vorüberziehen. Als es Zeit war, die Hühner zu füttern, zog sie sich um, stieg in ihre Gummistiefel und ging hinaus.
War sie böse auf Milo? Hasste sie ihn oder liebte sie ihn immer noch? Sie dachte an die arme Alte Mühle, um die sich jetzt keiner kümmerte, die bald in fremde Hände übergehen würde, und sie dachte an ihre Sachen. Sie hatte Milo gebeten, sie einzulagern, weil sie sie nur an ihn erinnern würden. Also war doch noch etwas von ihrer Liebe zu ihm da. Nach allem, was sie mitgemacht hatte, ein Rest Liebe.
Eine Woche später kam ein Paket mit ihren Malsachen und den Skizzenbüchern auf dem Hof an. Sie begann wieder zu zeichnen, größtenteils weil alle auf dem Hof sich irgendwie künstlerisch betätigten, sogar die Söhne von David und Carlotta: Sie zeichneten und malten, töpferten und bildhauerten. Sie zeichnete alles, was ihr vor die Augen kam. Sie zeichnete den Blick durch ihr Zimmerfenster, die Kontur von
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