Der italienische Geliebte (German Edition)
Feld und Hecke und welligen Hügeln, und die abendlichen Erlen mit den in den Wind geneigten Wipfeln. Sie zeichnete einen Stapel Bücher, eine Uhr und ein Knäuel von Strümpfen, das darauf wartete, gewaschen zu werden. Während sie auf dem Gemüsefeld arbeitete, beschäftigten sie Pläne, was sie am Abend zeichnen würde.
Mitte März fuhr sie nach Tunbridge Wells, um ihre Bibliotheksbücher zurückzugeben. Auf dem Rückweg zum Auto sprang ihr die Schlagzeile an einem Zeitungskiosk ins Auge. Sie kaufte das Blatt und las es im Wagen. Die Deutschen waren in die wehrlose ›Rest-Tschechei‹ einmarschiert. Das Münchner Abkommen, im vorangegangenen September mit Hitler geschlossen und als Friedensgarantie gedacht, war gebrochen. Die Tschechoslowakei existierte nicht mehr.
An einem sonnigen Samstagnachmittag saßen Freddie und Max in Liegestühlen im St. James’s Park, aßen Eis und hörten der Kapelle zu.
»Jedes Mal, wenn ich Tessa schreibe«, bemerkte Freddie, »frage ich, wann sie wieder nach Hause kommt.«
Max schälte sein Eis aus dem Papier und klemmte es zwischen zwei Waffeln. »Und was antwortet sie?«
»Meistens nichts. Sie geht gar nicht darauf ein. Das ist der Nachteil von Briefen, man kann alles ignorieren, was der andere geschrieben hat.«
»Wo ist sie jetzt? Immer noch in Bologna?«
Freddie schüttelte den Kopf. »In Florenz. Sie hat vor, mindestens den Sommer über dortzubleiben. Sie arbeitet in einem Modegeschäft.«
»Tessa hatte immer ihren eigenen Kopf. Wenn sie nicht nach England zurückkommen will, dann kommt sie auch nicht. Ich würde sagen, lass sie einfach, lass sie ihr eigenes Leben führen, aber…«
»Aber was?«
»Ach, diese Briten machen mich einfach wütend. Sie scheinen seit Jahren zu glauben, dass der Krieg dann ausbrechen wird, wenn es ihnen passt. Aber langsam wachen die Leute anscheinend auf. Chamberlain hat offenbar die Illusion aufgegeben, dass Hitler und Mussolini sich benehmen werden, wenn man höflich mit ihnen spricht. Ich fürchte, Tessa bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn sie vor Kriegsausbruch nach England zurückkehren will.«
Freddie war deprimiert. »Das habe ich ihr alles schon vorgehalten. Ich habe ihr geschrieben, dass es ein Risiko für sie ist, in Italien zu bleiben, und sie nicht einfach so tun kann, als existierte die Gefahr nicht. Sie hat mir geantwortet, sie sei lieber in Italien in Gefahr als in England in Sicherheit. Und außerdem sei sie, wenn es wirklich Krieg geben sollte, in Florenz wahrscheinlich besser aufgehoben als ich in London. Wegen der Bomben, verstehst du. Sie könnte recht haben.«
»Wenn Deutschland uns den Krieg erklärt und Italien aufseiten der Deutschen in den Krieg eintritt, würde Tessa dort zur feindlichen Ausländerin werden. Das ist es, was mir Sorge bereitet.«
Freddie sah ihn scharf an. »Fürchtest du das auch für dich, Max?«
Max nahm seinen Fotoapparat und richtete ihn auf ein altes Paar, das etwas entfernt im Gras saß. Die Frau hatte einen Strohhut auf und der Mann hatte sich als Schutz vor der Sonne ein an den vier Zipfeln geknotetes Taschentuch über den Kopf gestülpt.
Der Auslöser klickte. »Ja, manchmal fürchte ich das«, sagte er. »Mein schlimmster Albtraum wäre es, nach Deutschland zurückverfrachtet zu werden. Genau das fragen wir uns, wir Ausländer, wenn wir unter uns sind. Wenn es Krieg gibt, werden die Briten uns dann nach Deutschland zurückschicken?«
»Wenn sie das versuchen, Max, verstecke ich dich in meinem Schrank.
»Danke, Freddie.« Die Kapelle begann einen Marsch von Sousa zu spielen. »Etwas weniger Martialisches wäre mir lieber«, sagte Max stirnrunzelnd. »Am meisten beunruhigt mich, dass ich nicht sicher bin, ob es Tessa im Grunde nicht egal ist, ob sie lebt oder stirbt.«
Freddie fröstelte trotz der Sonnenwärme. »So etwas darfst du nicht sagen. Mir ist es bestimmt nicht egal, und wenn Tessa nicht von selbst nach Hause kommt, fahre ich hin und hole sie.«
»Ja?« Max lächelte. »Bravo! Aber warte nicht zu lange.«
Er richtete seine Leica auf sie und stellte den Sucher ein. »Du hast Eis an der Nase. Nein, wisch es nicht ab, es sieht sehr niedlich aus.«
Wenn Tessa nicht von selbst nach Hause kommt, fahre ich hin und hole sie. Was Freddie mehr oder weniger spontan dahingesagt hatte, war ihr schon länger im Kopf herumgegangen und wurde schließlich zum festen Entschluss. Tessa musste nach Hause kommen. Und da Tessa
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