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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Eisengitter, in denen Spinnweben hingen, schützten die Fenster der unteren Geschosse. Über einer Tür war ein in Stein gehauenes Wappen zu bewundern und in einer Nische halb versteckt eine Statue der Jungfrau Maria. Sie kam an einem mächtigen Palazzo mit kunstvollen Malereien in Schwarz und Silber vorüber, der hochmütig auf sie herabzublicken schien, und in einem Schaufenster entzündete die Abendsonne blitzende bunte Lichter im facettierten Behang eines Kronleuchters.  
    Von der Via Maggio bog sie in eine nur wenige Meter breite Gasse unter hohen Mauern ab, die Sonne und Hitze fernhielten. Am Ende der Gasse konnte sie den schwarzen Umriss einer Gestalt erkennen, die ihr entgegenkam. Sie strengte die Augen an. Es war eine Frau, groß und schlank, mit Einkaufstüten beladen.  
    »Freddie?«, rief Tessa und stellte die Tüten hin. »Oh, Freddie, bist du es wirklich?«  
    Tessa bewohnte zwei Zimmer über einem Antiquariat. Im kleineren standen ein schmales Bett und eine Kommode. Vom Fenster aus blickte man in einen Hof mit Mülltonnen, leeren Weinflaschen und einem verrosteten Kinderdreirad. Im größeren, das nach vorn hinausging, gab es einen offenen Kamin, ein Sofa, einen Sessel und einen kleinen Tisch. In der Ecke standen ein Ölofen und der Küchenschrank, in dem Tessa Nahrungsmittel und Geschirr aufbewahrte. Das Licht, das durch das Fenster zur Gasse einfiel, tauchte das Zimmer in blasses Ocker.  
    Während Tessa das Abendessen bereitete, stellte sie eine Frage nach der anderen. Warum Freddie ihr nicht geschrieben habe, dass sie komme. Ob sie allein gereist sei. Und wie sie gereist sei. Was, dritter Klasse, die ganze Nacht im Sitzen? Ach, Freddie, du Arme, ich schenke dir gleich ein Glas Wein ein, das wirkt Wunder. Wie es allen gehe. Wie es Max und Ray und Julian gehe.  
    In Freddies Schilderung wurde die Reise, die so strapaziös und manchmal beängstigend gewesen war, zum Abenteuer. Die Geschichte von ihrer Fahrt mit der Pariser Métro, wo ein Mann, der ihr im Wagen gegenübersaß, sie unaufhörlich angestarrt und die Bahnhofstreppe hinauf verfolgt hatte, als sie an der Gare de Bercy ausgestiegen war, wirkte jetzt eher komisch als bedrohlich, und die schlaflose Nacht im Zug, wo sie zwischen einem laut schnarchenden dicken Bauern und einer Frau gesessen hatte, die pausenlos brummelnd einen Rosenkranz durch ihre Finger laufen ließ, jetzt mehr skurril als nervenaufreibend. An der Grenze waren italienische Polizisten durch den Zug gegangen und hatten nach den Ausweisen gefragt; sie habe versucht, so jung wie möglich auszusehen, erzählte sie Tessa, kein Lippenstift und kein Puder, dafür eine Schleife im Haar, stell dir das vor. Als der Beamte sich ihren Pass ansah, hatte sie so getan, als würde sie gleich zu weinen anfangen, worauf er ihr den Kopf getätschelt hatte und weitergegangen war.  
    »Tessa«, sagte sie, und Tessa merkte wohl am Ton der Stimme sofort, worum es ging, denn sie erwiderte: »Ich weiß, warum du hergekommen bist. Du willst mich nach England zurückholen, stimmt’s? Aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. Das tun wir morgen, wenn du ausgeschlafen hast.«  
    Als sie nach dem Essen auf dem Sofa saßen, konnte Freddie kaum die Augen offen halten. Erinnerungen an ihre Reise wirbelten durcheinander – es hatte keinen Sinn – Tessa packte sie in eine Decke – sie kuschelte sich hinein und schlief ein.  
    Sie hatte drei Tage, um Tessa zur Einsicht zu bringen.  
    Sie aßen in einer kleinen Trattoria in der Nähe des Ladens, in dem Tessa arbeitete, zu Mittag. An der Wand prangte ein verblasstes Fresko mit Wolken und kleinen Putten. Eine Gruppe Geschäftsleute in Nadelstreifenanzügen unterhielt sich angeregt an einem Tisch bei der Treppe. Hin und wieder warf der eine oder andere einen Blick zu Tessa und Freddie hinüber.  
    »Es tut mir leid, dass ich so einfach verschwunden bin«, sagte Tessa. »Aber wenn ich dir etwas gesagt hätte, hättest du doch versucht, es mir auszureden.«  
    »Ganz genau.« Freddie spießte eine Tomatenscheibe auf. »Du hattest das geplant , stimmt’s?«  
    »Geplant nicht direkt, aber ich hatte daran gedacht. Und als ich in Menton war, war es entschieden.«  
    Tessa trug ein anthrazitgraues Baumwollkleid mit weißem Pikee an Kragen und Manschetten. Es war ein billiges Fähnchen, dachte Freddie, das Tessa, das Mannequin, niemals angezogen hatte. Aber an ihr wirkte es schick.  
    »Ich hatte ein ganz schlechtes Gewissen wegen Ray«, sagte Tessa.

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