Der italienische Geliebte (German Edition)
sagte er.
»In Italien?«
»Ja, tut mir leid. Darf ich hereinkommen?«
»Natürlich.«
Italien , dachte sie, als sie die Treppe hinaufgingen, aber zu Ray sagte sie nur: »Wartest du schon lange?«
»Eine halbe Stunde vielleicht.« Er fröstelte. »Es ist ja eiskalt.«
In der Wohnung machte Freddie Feuer und setzte Wasser auf. »Heißt das, dass Tessa in Italien jemanden besucht?«, fragte sie. »Ich dachte, sie wollte mit dir zurückreisen. Wie kommt sie jetzt nach Hause? Und wann kommt sie?«
»Ich glaube«, sagte er, seinen Mantel aufknöpfend, »sie hat vor zu bleiben.«
»Was?« Wasser schwappte auf den Boden, als sie ungeschickt Tee aufgoss. Sie wischte es mit dem Taschentuch auf.
Sie rührte zwei Stück Zucker in Rays Tee und reichte ihm die Tasse. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Was ist denn passiert?«
Er trank einen Schluck Tee. »Die letzten Wochen waren wir in Menton. Ich hatte ein ganz ordentliches Hotel nahe am Wasser gefunden. Bis auf ein paar Spritztouren in die Umgebung sind wir kaum ausgegangen. Meistens haben wir am Strand gesessen, wenn es warm genug war, haben gebadet und sind ein bisschen gelaufen. Ich dachte, Tessa fühlte sich wohl. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr besser ging und sie nicht mehr so angespannt wirkte. Du weißt ja, sie liebt die Sonne. Sie sah jedenfalls viel besser aus, Freddie, wirklich. Es war wahrscheinlich naiv von mir zu glauben, es brauchte nur ein paar Wochen Südfrankreich und ich würde die alte Tessa wiederbekommen, aber man hofft ja doch immer, nicht wahr? Kurz und gut, eines Tages, als wir beim Mittagessen saßen, fragte sie mich, wie weit es bis Italien sei. Als ich ihr sagte, dass die Grenze nur wenige Kilometer östlich liege, wurde sie sehr still. Ich fragte, was los sei, und sie sagte, nichts, sie sei nur müde. Am Nachmittag kam sie nicht aus ihrem Zimmer. Als wir uns abends in der Bar trafen, erklärte sie mir, sie hätte beschlossen, nach Italien zurückzugehen. Ich dachte, sie spräche von einem kurzen Urlaub, und sagte, ich würde mich erkundigen, ob es möglich sei, für ein paar Tage hinüberzufahren. Darauf erklärte sie mir, so habe sie das nicht gemeint, sie wolle wieder ganz dort leben.«
»Oh, Ray!« Freddie konnte es nicht glauben.
»Ich habe versucht, es ihr auszureden. Sie sagte, im Nachhinein sei sie überzeugt, dass sie nie nach England gepasst habe. Eine Weile habe sie sich eingebildet, es wäre das Richtige für sie, dann aber gemerkt, dass das eine Täuschung gewesen sei. Manche Leute, die sie für ihre Freunde gehalten habe, hätten seit ihrer Schwangerschaft nicht mehr mit ihr gesprochen, und andere hätten sie seit Angelos Tod keines Blickes mehr gewürdigt. Na, du weißt ja, wie manche Menschen sind. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen, also sagen sie am Ende gar nichts. Aber sie hat Freunde hier, Freddie, wahre Freunde. Es gibt hier Menschen, die sie lieben.« Ray schnäuzte sich. »Wie gesagt, ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie behauptete, sie müsse weg, irgendwo hin, wo niemand sie kennt – wo niemand von Angelo gehört hat. Sie sagte, sie müsse neu anfangen. Ich versuchte, ihr klarzumachen, wie schwierig das werden würde – ich meine, wovon will sie denn leben, wo will sie unterkommen, noch dazu bei der gegenwärtigen politischen Lage in Italien. Mussolini ist nicht gerade ein Freund der Engländer, und ich habe gehört, dass einigen Landsleuten, die in Italien geblieben sind, das Leben in letzter Zeit ziemlich schwer gemacht wird. Am Ende hat sie mir versprochen, noch einmal darüber nachzudenken. Sie hat mir versprochen, nichts Unbesonnenes zu tun, verdammt noch mal. Und am nächsten Morgen war sie weg. Früh um fünf aus dem Haus und mit dem ersten Zug nach Italien. Sie hat mir einen Brief dagelassen. Du kannst ihn lesen, wenn du willst, Freddie.«
Freddie überflog den Brief eilig. Tessa dankte Ray für seine Geduld, seine Güte und Großzügigkeit und bat ihn, ihr zu verzeihen. ›Ich weiß, dass meine Entscheidung richtig ist‹, hatte sie geschrieben. ›Ich habe lange überhaupt nichts mehr gewollt – außer natürlich die Zeit zurückdrehen –, aber das will ich jetzt: Ich will nach Hause.‹ In einem Zusatz am Ende des Briefs hatte sie geschrieben: ›Bitte sag Freddie, sie soll sich keine Sorgen machen. Ich schreibe ihr bald.‹
Freddie faltete den Brief und gab ihn Ray zurück. »Du kannst nichts dafür«, sagte sie. »Wir kennen
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