Der Jadereiter
von seiner Jugend und seiner Zukunft übrig ist, um das Treffen zu überstehen; Rosen wirkt niedergeschlagen. Sie flankieren einen Schreibtisch, der größer ist als ein Doppelbett; nur die Botschafterin sitzt. Hinter ihr hängt neben dem Fenster etwas geneigt die amerikanische Fahne, und wiederum dahinter befinden sich die gepflegten Gartenanlagen der Botschaft. Die Stellvertreterin hat neben dem Schreibtisch Stellung bezogen.
Die Botschafterin erhebt sich huldvoll, als ich mich ihr nähere, und reicht mir die Hand, während Rosen mich vorstellt. Ich frage mich, ob ihre Höflichkeit als Kritik an den anderen zu interpretieren ist.
»Sie wissen vermutlich, worum es geht, Detective?«
»Um das Verschwinden von Sylvester Warren?«
»Genau. Ich habe bereits mehrere Faxe, Anrufe und E-Mails von zwei Senatoren, einen Anruf des Weißen Hauses, ein dringendes Fax von Warrens Anwalt in New York sowie etliche Anfragen seiner Angestellten erhalten.« Ein Blick auf die Uhr, dann auf ihre Stellvertreterin.
»Aber mittags erwarte ich die Königin, und hinterher muß ich nach Tokio. Also werde ich die Sache Ihnen überlassen. Sie können hier weitermachen; es hat keinen Sinn, alles in einen anderen Raum zu verlegen. Tut mir leid, daß ich kaum Zeit hatte, mit Ihnen zu sprechen, Detective. Ich hoffe, daß Sie uns helfen können. Ihr Colonel Vikorn hat mir heute morgen am Telefon nur Gutes über Sie erzählt. Er sagt, Sie werden Warren finden.« Sie mustert kurz mein Gesicht. »Das könnte sehr, sehr wichtig sein.« Ein letzter Blick und ein Nicken in Richtung der Stellvertreterin, dann verläßt sie den Raum durch eine Tür neben ihrem Schreibtisch.
»Tja, nun können wir uns wohl alle setzen«, erklärt die Stellvertreterin. Wir gehen zu ein paar Stühlen und einem Sofa rund um ein Beistelltischchen. »Lassen Sie mich wiederholen, was die Botschafterin gesagt hat, damit der Detective auch Bescheid weiß.« Sie sieht mich an, zwei Finger erhoben. »Zwei Möglichkeiten, Detective: Entweder es handelt sich um Terrorismus oder nicht. Uns bleiben nur ein paar Stunden, um festzustellen, welche der beiden Alternativen zutrifft. Sylvester Warren ist ein mit Präsidenten und Staatsoberhäuptern befreundeter Amerikaner, der dieses Land jeden Monat besucht und in Südostasien vermutlich genauso bekannt ist wie in den Staaten, vielleicht sogar noch bekannter. Thailand hat einen hohen Moslemanteil an der Bevölkerung. Im Süden grenzen Malaysia und Indonesien an, die stärksten Moslemnationen der Welt mit einer beträchtlichen Anzahl extremistischer Gruppierungen. Die Grenzen sind durchlässig; jeder kann zu Lande oder zu Wasser hierherkommen. Ich muß Ihnen wohl nicht sagen, welche gedanklichen Verbindungen die Leute herstellen werden. Sehen Sie das Problem, Detective? Es geht nicht nur um kriminalistische Ermittlungen, sondern auch um Diplomatie. Wir haben Rechtsberater, weil diese beiden Gebiete sich nicht immer sauber trennen lassen und wir gern vorgewarnt würden, wenn das der Fall ist.« Sie bedenkt Rosen und Nape mit einem vorwurfsvollen Blick.
Es scheint sich um eine Übung in amerikanischer Grimmigkeit zu handeln, ein Genre, das mir fremd ist. Offenbar besteht der Sinn darin zu beweisen, daß das Problem sich um so wahrscheinlicher lösen läßt, je strenger man dreinschaut. Aber welches Problem? Ich brauche eine ganze Weile, bis ich merke, daß sich hinter der Grimmigkeitsfassade etwas abspielt, mit dem ich doch vertraut bin. Die Gesetze der Bürokratie sind denen der Physik sehr ähnlich und in allen Winkeln der Welt gleich. Jetzt begreife ich: Ich halte mich der Form halber hier in dem prächtigen Büro der Botschafterin auf. Es wird genaueste Aufzeichnungen darüber geben, daß sie und ihre Stellvertreterin sich angesichts der erschütternden Nachricht von Warrens Verschwinden persönlich mit Detective Jitpleecheep unterhalten haben. Nachdem sie sich vergewissert hatten, daß es sich nicht um einen terroristischen Akt handelte, blieb ihnen keine andere Wahl, als die Ermittlungen der örtlichen Polizei sowie den Rechtsberatern des FBI zu überlassen, die wegen ihrer Nachlässigkeit beim Schutz eines bekannten amerikanischen Bürgers eine Rüge erhielten. Parallel zu diesen Aufzeichnungen wird eine interne Mitteilung darüber verfaßt werden, daß es sich bei Warren um einen Psychopathen handelt, der vermutlich gefesselt irgendwo in einem Holzverschlag genau das bekommt, was er verdient, ohne daß die Sicherheit Amerikas oder
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