Der Jadereiter
dichter Dunst am Morgen. Wir sind so« – eine Geste, die andeuten soll, wie steil es war – »hochgestiegen, bis wir auf einer Höhe von zwei- oder dreitausend Metern waren. Dort oben wird die Luft allmählich dünn, und es ist eisig kalt. Er hat die verdammte Kassette mit dem ›Walkürenritt‹ abgespielt – da ist mir aufgegangen, daß ein farang einen Thai lieben kann. Wir sind zweimal mit einem Flugzeug voller Einschußlöcher abgestürzt. Ich hab mir in die Hose gemacht vor Angst, aber dieser Amerikaner war wie Supermann. Irgendwie haben wir’s geschafft, wieder nach Long Tien zurückzukommen. Die Hmong waren auch wunderbar. Wie könnte irgend jemand die Unschuld des Opiumhandels begreifen? Warren war gut zu den Hmong, er hat seine Freunde, die Chiu Chow, gezwungen, Höchstpreise zu zahlen – na, wie findest du das? Sogar er hatte damals noch Ehre im Leib.«
Er kehrt gebeugt ins Haus zurück.
50
Die Frage lautet nicht so sehr »Wer war’s?«, sondern eher »Was wird sie als nächstes tun?«. Die FBI-Frau und mich beschäftigte diese Frage sehr; fast fühlten wir uns verpflichtet, wie im Westen üblich alle losen Fäden zu verknüpfen. Vielleicht sollten Kimberley Jones und ich sogar Hand in Hand in den Sonnenuntergang entschwinden, ohne von einem schlauen thailändischen Skelett verfolgt zu werden? Doch Warren gewann immerhin diese Schlacht; gestern abend habe ich mich am Flughafen von ihr verabschiedet. Wir waren hölzern, liebevoll, melancholisch, alles gleichzeitig. Sie sah mich flehend an, als sie sagte: »Du wirst mir fehlen, Sonchai.« Also mußte ich ihren flehenden Blick erwidern und meinerseits sagen: »Du mir auch, Kimberley.« Insgeheim bedauere ich es, daß sie auf dem Pfad nicht so weit fortgeschritten ist, wie ich es mir gewünscht hätte. Natürlich wird sie wiederkommen.
»Was wird Fatima als nächstes tun?« verwandelt sich fürs erste in eine jener Thai-Fragen, auf die man nicht notwendigerweise in diesem Leben eine Antwort erwartet. Ohne Kimberleys amerikanische Ungeduld, die mich antreibt, weiß ich nicht so genau, was ich selbst als nächstes tun, ob ich überhaupt etwas machen werde. Soll ich sie verhaften? Der Colonel zögert, und daß ein niederträchtiger Mord möglicherweise ungesühnt bleibt, erzürnt mich nicht so sehr, wie du, farang, vielleicht denkst. Natürlich kann ich Pichai nicht vergessen – aber hat sie ihn nicht nur auf der oberflächlichen Ebene getötet? Wir wissen doch alle, wer’s wirklich war, oder? Und was soll ich mit ihm, diesem Prototyp des westlichen Mannes, tun? Dann wären da noch meine fast allnächtlichen Zwiegespräche mit meinem toten Bruder Pichai, von denen ich Ihnen nichts erzählt habe. Inzwischen, so scheint es, hat er kein Interesse mehr an Fragen über die Zerstörung seines materiellen Körpers, den er letztlich froh ist, los zu sein. Es gibt zahlreiche Wege, in Kontakt zu treten, erklärt er mir ein wenig rätselhaft, wenn wir uns in der Dämmerzone zwischen Wachen und Schlaf treffen.
Einen kurzen Augenblick glaube ich, die Vereinigten Staaten von Amerika könnten mich vielleicht doch aus diesem Dilemma befreien. Völlig überraschend werde ich in meine zweite Heimat, die amerikanische Botschaft an der Wireless Road, eingeladen – vielleicht wäre »zitiert« der bessere Ausdruck. Die kaum merkliche Erhöhung meines Achtungsquotienten, verbunden mit unverhohlener Neugierde, bleibt mir nicht verborgen, als ich an meinem Freund, dem Wachmann, vorbeigehe. Dann begrüßt mich Katherine White, meine Wegbegleiterin aus alten Zeiten, mit der Nachricht, daß ich diesmal nicht das Büro des Rechtsberaters des FBI auf suchen werde, sondern – sie wirft mir einen kurzen Blick zu, um festzustellen, ob ich mir der Ehre bewußt bin, die mir zuteil wird – die Suite des Botschafters. Anschließend folgt ein zackiger Marsch durch jenen Teil der Botschaft, der üblicherweise ausländischen Prinzen und Potentaten vorbehalten ist.
Botschafter und Stellvertreter sind weiblichen Geschlechts und könnten, von der ethnischen Herkunft abgesehen, aus demselben Holz großgewachsener, schlanker Endvierzigerinnen mit langen Armen, forschen Umgangsformen und unbedingten Gehorsam fordernden Stimmen geschnitzt sein. Die Botschafterin ist weiß, ihre Stellvertreterin schwarz. Ich betrete den Schauplatz des Geschehens nach dem Massaker. Fast kann ich Rosens und Napes Karrieren blutig-verstümmelt auf dem Teppich liegen sehen. Nape verläßt sich auf das, was noch
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