Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
Vom Netzwerk:
Land verändert hat. Früher mußte man genug Essen für eine mia noi und ihre Familie beschaffen und ihr ein oder zwei Kinder machen. Jetzt« – er schüttelt den Kopf – »jetzt geht’s nur noch um die Selbstverwirklichung. Ich zahle für Friseurkurse, Kosmetikkurse, Tätowierkurse, Aerobic-Kurse und seit neuestem auch für Internetsoftware. Sie behauptet, sich daheim zu Tode zu langweilen, und möchte ihr eigenes Internet-Café eröffnen. Kinder scheint sie keine zu wollen. Sie sagt, wir hätten eine Abmachung. Sie überläßt mir ihren Körper, wann immer ich die Kraft dazu habe, ihn in Besitz zu nehmen, ist mir treu, und als Gegenleistung finanziere ich ihren sozialen Aufstieg. Man könnte sagen, sie ist die lebende Fusion von Ost und West.«
    »So schlecht klingt das nicht.«
    »Ich weiß, aber wo bleibt die Romantik? Sie hat nicht mal Angst vor mir. Hast du ihren Blick auf die Waffe gesehen? Als wollte sie sagen: ›Der alte Mann spielt wieder seine Spielchen.‹ Gestern hat sie mich gefragt: ›Schlafen wir heute abend miteinander, oder kann ich Fußball anschauen?‹ Seit wann sind unsere Frauen so scharf auf Fußball?«
    »Das ist schon eine ganze Weile so. Ich kann bestätigen, daß sie ihn oft dem Sex vorziehen.«
    »Sie ist die ehrgeizigste, aber auch die unzufriedenste meiner Frauen. Ist Emanzipation gleichbedeutend mit Unzufriedenheit? In was für einer Welt leben wir? Ich glaube, allzu lange möchte ich mich nicht mehr darin aufhalten. Wirst du mich nun in mein nächstes Leben befördern oder nicht?«
    Der Colonel zuckt nicht einmal zusammen, als ich mich vorbeuge, um die Waffe in die Hand zu nehmen. Ich sehe nach, ob sie geladen ist. Erst jetzt wird mir klar, daß es ihm ernst ist, daß ich ihn tatsächlich töten soll.
    »Du glaubst also, ich bluffe?«
    »Nein, aber ich kenne mindestens eine Person, die daran zweifeln wird, daß die Waffe geladen war, wenn ich ihr die Geschichte erzähle.« Ich lege den Revolver zurück auf den Tisch.
    »Woher willst du wissen, daß das keine Platzpatronen sind? Du verbringst zuviel Zeit mit der FBI-Frau, mein Freund, du beginnst schon, wie ein Amerikaner zu denken.« Er nimmt die Waffe und hält sie zitternd in beiden Händen. »Ehre ist Ehre«, sagt er. Der Schuß reißt ein gezacktes Loch in die Fensterwand, und sofort kommen Sicherheitskräfte aus allen vier Himmelsrichtungen angerannt. Er bedeutet ihnen, die Waffe immer noch in der Hand, sich wieder zu entfernen. Dann legt er den Revolver mit einem lauten Klacken auf den Tisch zurück. Der Schuß hallt noch in meinen Ohren, und aus der Glaswand, die jetzt von blitzförmigen Rissen durchzogen ist, rieseln kleine Scherben herab. Ich könnte nicht erklären, wieso dieser melodramatische Auftritt meine Zuneigung zu ihm verstärkt hat.
    Er sagt: »Ich weiß nicht, warum ich ein Haus im farang- Stilwollte. Als junger Mann fand ich den Westen beeindruckend. Jetzt erkenne ich, wie sehr wir uns selbst verloren haben. Schau dir dieses dumme Fenster an. Welcher Idiot würde in den Tropen eine Glaswand bauen? Kleine Fenster mit Läden, hohe Decken, sowenig Licht wie möglich, Teakholzwände, das Gefühl eines lebenden, atmenden Raumes sind hier viel sinnvoller.« Er wendet den Blick von mir ab. Um die Fischer draußen zu sehen, muß er sich ein bißchen zur Seite drehen. Ich höre seine Gedanken laut und deutlich in meinem Kopf. Er spricht mit seinem Bruder, gibt zu, daß es besser gewesen wäre, das einfache Leben eines Fischers zu führen. Sein Bruder rät ihm, Sentimentalität nicht mit dem Nirwana zu verwechseln. Vikorn mustert mich mit einem hilflosen Gesichtsausdruck. »Das hast du gehört, stimmt’s? Er ist unerbittlich, läßt mir nichts durchgehen.«
    Ächzend hievt er sich aus seinem Sessel und bedeutet mir mit einer Geste, ihm zu folgen. Dann dirigiert er mich in einen kleinen Vorführraum mit riesigem Bildschirm und etwa zwanzig Sitzplätzen, sagt mir, ich solle mich setzen, läßt mich fünf Minuten allein und kehrt mit einem Video zurück. »Ich habe mir natürlich eine Kopie gemacht.«
    Wie ein zehn Jahre älterer Mann bückt er sich, schiebt das Tape in den Recorder unter dem Fernseher, und sofort erscheint das Bild einer jungen weißen Frau mit blonden Haaren und slawischen Gesichtszügen auf dem Monitor.
    Sie trägt eine Jeans sowie ein enges T-Shirt und lächelt munter, offenbar, um die Aufmerksamkeit einer Person auf sich zu ziehen, die nicht im Bild zu sehen ist. Sie nickt und beginnt, sich zu

Weitere Kostenlose Bücher