Der Jadereiter
auf Fünfzehn-Zentimeter-Plateauschuhen herum. Die Rückkehr in die Realität kann ein ganz schöner Schock sein: von der großgewachsenen, vollbusigen Pornokönigin zur flachbrüstigen Zwergin. Nein, Prostituierte werden im Regelfall keine guten Ehefrauen, aber das hat nichts mit Treue oder Untreue zu tun. Normalerweise wollen solche Mädchen keine außerehelichen Affären, in denen sie wahrscheinlich wieder die Sexgöttin spielen müßten. Sie möchten nur das Recht zurück, gereizt und ganz und gar uncharmant sein zu können, das sie bei ihrem Eintritt in das Gewerbe verloren.«
Anrufer: »Dann halten solche Ehen also für gewöhnlich nicht?«
»Leider nein. Die meisten Barmädchen, die einen Kunden heiraten, landen über kurz oder lang wieder in den Clubs.«
Ich denke an ihn. In meiner Vorstellung ist seine Uniform zerrissen, seine Ärmel sind blutverschmiert, und eine sensenförmige Narbe ziert die eine Seite seines Gesichts. Er betritt die Bar in Pat Pong, um sich von den Greueln des Krieges zu erholen, ein paar Flaschen Bier zu trinken, ein Mädchen kennenzulernen. Er ist ein aufrichtiger amerikanischer Junge, er läßt sich nicht auf Prostituierte ein, nicht mal, wenn er Fronturlaub hat, aber gestern (oder vorgestern) sind drei (oder mehr) seiner engsten Freunde gestorben, und irgendwann ist die Grenze dessen erreicht, was ein Mann ertragen kann. Er ist jung, verdammt noch mal, zweiundzwanzig, höchstens fünfundzwanzig. Die Achtzehnjährige hinter der Theke ist mehr als schön, sie hat etwas, von dem er bisher nicht einmal wußte, daß er es benötigt: Sie strotzt vor Vitalität, vielleicht dem einzigen Mittel gegen sein niederschmetterndes Gefühl des Verlustes. Der Selbsterhaltungstrieb, nicht die Lust, bewegt ihn dazu, sie in sein Hotel mitzunehmen. Sie spielt die Sexgöttin genauso gut wie all die anderen Frauen hier, aber sie hat auch in das Herz dieses jungen Mannes geschaut. Es sind keine Phantasien, die er braucht, sondern Gesundheit, Leben. Sie heilt ihn mit ihrer erstaunlichen Energie, und irgendwann glaubt er, ohne sie nicht mehr existieren zu können. Sie wollen ein Unterpfand ihres mysteriösen, heiligen Bundes. Sie beschließen, ein Kind zu zeugen. Mich.
Sie waren nicht so wie die Leute, von denen die Professorin spricht. Damals, vor zweiunddreißig Jahren, herrschte Krieg. Ich tue Pisit und seinen Gast als unzuverlässig ab und schalte das Radio aus. In der Stille denke ich an Fatima. Bestimmt ähnelt ihr Traumleben dem meinen. Ich kann mir kaum eine Vaterfigur vorstellen, die besser gepaßt hätte als Bradley.
37
»Noch kennt niemand das volle Potential von Viagra«, erklärt meine Mutter bei einer Marlboro Red. Wir sitzen an einer Garküche in einer Straße in Pratunam, wo wir tomyum-Suppe, gebratenen Fisch, würzigen Cashewnußsalat, drei verschiedene Sorten Hühnchen sowie dünne Reisnudeln gegessen haben. Auf dem Tisch befinden sich sechs Dips, Bierflaschen, gehackter Ingwer, geröstete Erdnüsse, Peperoni und Limonenstückchen. Wir sind nur einen knappen halben Meter vom Verkehrsstau entfernt, doch der Stand ist bekannt für sein hervorragendes Curry mit knuspriger Ente – so bekannt, daß der Colonel des District es nicht wagt, ihn zu schließen oder den Inhaber unter Druck zu setzen, obwohl die Tische und Stühle fast den gesamten Gehsteig einnehmen und die Fußgänger gezwungen sind, auf der Straße ihr Leben zu riskieren. Die Thai-Küche ist subtil, vielfältig, komplex – einfach die beste der Welt. Sie haut pingelige Franzosen und schräge Chinesen aus den Socken, aber Ehre, wem Ehre gebührt: Während Nongs einzigem Trip nach Japan (sie half in Yokohama einem Yakuza-Gangster mit tadellosen Manieren, seine chronische Migräne durch mehr oder minder ununterbrochenen Sex zu bekämpfen) probierte ich zum ersten Mal Kobe-Rind und verzieh den Japanern sofort Pearl Harbor.
Geschützt durch eine Feuerwand aus Chili, hat sich unsere Küche nicht wie andere vom westlichen Einfluß korrumpieren lassen. Das beste Essen findet man nach wie vor in Privathaushalten und auf der Straße. Jeder Thai ist von Geburt an Gourmet, und Cops schließen die besten Garküchen nicht, wenn sie wissen, was gut für sie ist.
»Wahrscheinlich hast du recht«, brülle ich über den Verkehrslärm hinweg.
»Jeder kennt es, und die farangs wissen, daß sie es in thailändischen Apotheken problemlos bekommen können, aber wir sind uns des neuen Kundenpotentials, das sich uns so erschließt, noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher