Der Jäger
bevor er sagte: »Frau Kommissarin, dürfte ich vielleicht mit Ihrem Kollegen unter vier Augen sprechen?«
»Von mir aus. Kann ich mich solange woanders aufhalten?«
»Sie können im Wohnzimmer Platz nehmen und meiner Frau Gesellschaft leisten. Das, was ich zu sagen habe, wird nur kurz dauern. Aber tun Sie mir einen Gefallen, sprechen Sie nicht mit meiner Frau über diese leidige Sache, ich meine, dass ich Frau Kassner näher als nur von der Uni oder irgendwelchen Feiern kannte.«
Julia Durant erhob sich, reichte Hellmer den Umschlag mit den Fotos, nickte ihm zu und verließ das Zimmer.
»Herr Hellmer, es gibt einen Grund, weshalb ich von Mann zu Mann mit Ihnen sprechen möchte.« Maibaum beugte sich nach vorn, die Arme aufgestützt, die Hände angelegt, mit den Fingerspitzen seine Nase berührend. Er schloss die Augen, als würde er nach den passenden Worten suchen. Nachdem er sie gefunden hatte, sagte er: »Es gibt bestimmte Dinge, die gehen eine Frau nichts an. Mir ist es egal, ob Sie es Ihrer Kollegin nachher erzählen, ich bin dann zum Glück nicht mehr dabei. Es ist richtig, dass ich Frau Kassner dann und wann besucht habe. Es ist jedoch nie zu einem sexuellen Kontakt gekommen …« Er hielt inne, als würde er auch seine nächsten Worte sorgfältig abwägen.
Hellmer fragte: »Und warum nicht?«
»Weil ich impotent bin.« Er sah Hellmer direkt an, wirkte auf einmal unendlich traurig, seufzte auf und lehnte sich zurück. Er betrachtete seine Hände, als er fortfuhr: »Ich bin kein Mann mehr und werde es wahrscheinlich auch nie mehr sein. Seit fünf Jahren kann ich mit keiner Frau mehr schlafen. Die Ursache dafür vermochte bis jetzt keiner herauszufinden, jeder sagt immer nur, das spiele sich in meinem Kopf ab, aber sosehr ich mich auch bemühe … ich kriege einfach keinen mehr hoch, so traurig das auch ist. Selbst bei einem Rasseweib wie Judith Kassner. Und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr meine Frau darunter leidet, von mir ganz zu schweigen. Ich werde tagtäglich an der Uni mit wunderhübschen Frauen konfrontiert, aber da unten, da rührt sich gar nichts mehr. Tote Hose, wie man so schön sagt.« Er schaute zu Boden, seine Mundwinkel zuckten. »Physisch sei bei mir alles in Ordnung, sagen die Ärzte; solange ich morgens nach dem Aufwachen eine Erektion habe, könne ein physischer Defekt ausgeschlossen werden, aber im psychischen Bereich würde etwas nicht stimmen. Und die Ärzte werden wohl Recht haben, denn meine Frau und ich, wir haben es einige Male morgens probiert, doch jedes Mal ist
er
gleich wieder in sich zusammengefallen.«
»Und wieso sind Sie dann trotzdem zu Frau Kassner gegangen?«
»Weil sie mir, im Gegensatz zu fast allen anderen Frauen, Achtung, Respekt und Mitgefühl entgegenbrachte. Das hat sie ausgezeichnet. Sie hat mich nicht ausgelacht wie schon so einige vor ihr, sie hat mich trotz allem als Mann gesehen. Außer ihr gibt es nur noch einen Menschen, der mich als Mann sieht, meine Frau.« Er schüttelte den Kopf, seine Augen wurden glasig, er kämpfte mit den Tränen. »Sie werden meine Frau sicher gleich kennen lernen, sie ist jung, sie ist attraktiv, und sie könnte an jedem Finger zehn Männer haben. Stattdessen hat sie nur mich, einen impotenten Krüppel. Und trotzdem hat sie mich noch nicht verlassen, obwohl ich … Lassen wir das, es tut nichts zur Sache.« Erkaute auf seiner Unterlippe, machte einen verzweifelten Eindruck. »Aber auch wenn sie an jedem Finger zehn Männer haben könnte, so will sie partout bei mir bleiben, sagt, wir schaffen es auch ohne Sex. Ich weiß zwar, dass sie sich ihre körperliche Befriedigung woanders holt, aber das ist ein Zugeständnis, das ich ihr einfach machen muss.«
»Wie alt ist Ihre Frau?«
»Achtunddreißig. Aber sie schaut jünger aus. Keiner, der sie sieht, würde glauben, sie wäre älter als Anfang dreißig. Es liegt in ihrer Familie. Ich bin siebenundvierzig, sehe aber aus wie sechzig …«
»Nein, Dr. Maibaum, das stimmt nicht«, sagte Hellmer, der Maibaum auf höchstens fünfzig geschätzt hätte. »Aber eines interessiert mich doch noch. Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, dass Frau Kassner neben ihrem Studium noch als Prostituierte gearbeitet hat? War das nicht ein Schock für Sie?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Sie wundern sich bestimmt über diese Antwort, aber ich war nicht schockiert, im Gegenteil, ich hatte die große Hoffnung, bei ihr würde es klappen, würde endlich dieser verdammte Knoten in
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