Der Jäger
Nase. Außer an den Seiten hatte er keine Haare mehr, Durant schätzte sein Alter auf Anfang bis Mitte fünfzig. Er trug einen Anzug, ein weißes Hemd mit Krawatte und italienische Schuhe. Durant hielt ihm ihren Ausweis vor die Nase.
»Durant, Kriminalpolizei. Das ist mein Kollege, Herr Hellmer. Dr. Maibaum?«
»Ja, bitte?«, fragte er mit ungewöhnlich tiefer, sonorer Stimme, die in herbem Widerspruch zu seiner hageren Gestalt stand. Er wirkte aber nicht unfreundlich, eher verhalten und misstrauisch.
»Dürfen wir eintreten?«, fragte die Kommissarin.
»Wenn Sie mir freundlicherweise verraten würden, was Sie von mir wollen?«
»Wir haben nur ein paar Fragen. Und wenn möglich, würden wir uns gerne mit Ihnen allein unterhalten.«
»Ich wüsste nicht, was die Polizei von mir wollen könnte. Aber bitte, kommen Sie rein. Am besten gehen wir in mein Arbeitszimmer, dort sind wir ungestört.« Er ging vor ihnen den Flur entlang in ein großes, mit dunklen, schweren Möbeln eingerichtetes Zimmer, das aussah, als hätte es schon seinem Großvater gehört. Der größte Teil des Inventars bestand aus Büchern, ein wuchtiger Schreibtisch stand schräg in der Mitte des Raums, drei Sessel waren um einen kleinen Tisch platziert.
Maibaum bot den Kommissaren keinen Platz an. Er musterte die Beamten eingehend, während er sich hinter seinen Schreibtisch verkroch.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Hellmer.
»Bitte«, erwiderte Maibaum und deutete auf die Sessel.
»Dr. Maibaum, Sie sind Dekan an der Uni Frankfurt?«
»Gratuliere, dass Sie das herausgefunden haben. Es hat Sie aber sicherlich nicht viel Mühe gekostet, oder?«, sagte er mit ironischem Unterton, wobei seine Augen kurz aufblitzten. Julia Durant ging nicht darauf ein, sondern stellte gleich ihre nächste Frage.
»Wir ermitteln gerade in einer Reihe von Mordfällen, von denen eines der Opfer eine gewisse Judith Kassner ist. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Maibaum schaute über den Rand seiner Brille hinweg Durant an und zuckte die Schultern. »Sollte er?«
»Wir haben zumindest Ihre Telefonnummer bei ihr gefunden. Und wir wissen inzwischen auch, dass Frau Kassner nicht nur Studentin, sondern auch Gast bei diversen Empfängen war, die Sie veranstaltet haben.«
Maibaum, der mit einem Mal wie erstarrt hinter seinem Schreibtisch hockte, verzog keine Miene. Er blinzelte nur ein paar Mal, bevor er mit einer Spur Verlegenheit antwortete: »Ja, ich kenne Frau Kassner. Oder ich sollte jetzt wohl besser sagen, ich kannte sie.«
»Und wie gut kannten Sie sie?«
»Stehe ich etwa im Verdacht, etwas mit diesem Mord zu tun zu haben?«
»Ich habe Sie lediglich gefragt, wie gut Sie Frau Kassner gekannt haben. Und darauf hätte ich gerne eine Antwort.«
»Ich habe sie gekannt, das muss Ihnen genügen. Mehr Auskünfte gebe ich nicht.«
»Wie Sie wollen. Wir können Sie aber auch aufs Präsidium vorladen, wo eine Befragung in der Regel recht unangenehm werden kann. Und das ist doch sicher nicht in Ihrem Interesse, oder?«
Maibaum lächelte plötzlich und sagte kopfschüttelnd: »Nein, das muss nun wirklich nicht sein. Also gut, Frau Kassner war dann und wann bei uns, wenn wir eine Feier gegeben haben. Dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder?«
»Das nicht. Aber die Angelegenheit ist etwas delikaterer Natur. Wir haben Ihre Telefonnummer nämlich in einem Verzeichnis gefunden, in dem nur Männer aufgeführt sind, und zwar sämtliche Freier von Frau Kassner, die neben ihrem Studium auch noch als Prostituierte gearbeitet hat. Was sagen Sie jetzt?«
Maibaum wurde mit einem Mal nervös, das eben noch jungenhafte Lächeln verschwand schlagartig und machte einem eher betrübten Gesichtsausdruck Platz. Er erwiderte nichts.
»Waren Sie Kunde von ihr?«, fragte Durant, diesmal etwas schärfer.
»Ja und nein«, antwortete Maibaum, der unruhig auf seinem Sessel hin und her rutschte. »Auf der einen Seite war ich sicher so etwas wie ein Kunde, auf der andern Seite auch wieder nicht.«
»Dr. Maibaum, lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden. Wir haben auch keine Lust, unsere Zeit mit langweiligen Spielchen zu vertun. Haben Sie mit Frau Kassner sexuell verkehrt?«
»Nein. Ich war Kunde, das gebe ich zu, aber ich war kein Freier, wie es so schön heißt. Auch wenn ich wünschte, einer gewesen zu sein …«
»Augenblick, Sie waren Kunde, aber kein Freier? Wie soll ich das verstehen? Wollte sie nicht …?«
Maibaum sah Julia Durant an, ließ einen Moment verstreichen,
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