Der Jäger
mir im Augenblick so gut wie seit Jahren nicht geht. Ich möchte heute einfach zu meiner Freundin fahren und nichts tun außer reden, reden, reden. Aber wir können gerne einen neuen Termin ausmachen.«
Richter lächelte verständnisvoll nickend und nahm seinen Terminplaner. »Wir haben heute Mittwoch. Ginge es am Montag um zwei?«
»Natürlich.«
»Warte, ich schreibe es dir auf. Und solltest du dich plötzlich schlecht fühlen, dann ruf mich sofort an. Und vergiss nicht, deine Tabletten zu nehmen, du wirst sie noch eine Weile brauchen.«
»Ich werde es nicht vergessen. Und nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe. Tschüss und bis Montag.«
Richter blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen, lehnte sich zurück und drehte sich mit dem Stuhl, um aus dem Fenster schauen zu können. Die Kopfschmerzen und die Übelkeit plagten ihn, die Erstellung des Täterprofils gestaltete sich schwieriger als erwartet, und dazu kam obendrein die Sache mit Claudia van Dyck.
Es lag noch ein langer Tag und wahrscheinlich eine noch viel längere Nacht vor ihm. Er sah die Bilder der ermordeten Frauen vor sich, von denen er drei persönlich gekannt hatte. Er erinnerte sich an Ilona Weidmann, die damals, kurz nach dem Tod ihrer Tochter, bei ihm war und sich ihren ganzen Kummer und all den Frust von der Seele geredet hatte. Aber sie war erstaunlich schnell aus ihrem Tief herausgekommen und hatte es geschafft, loszulassen. Sie hatte begriffen, dass der sinnlose Tod von Carola nicht rückgängig gemacht werden konnte. Er hatte eine Ahnung, aber noch keine konkrete Vorstellung, welche Persönlichkeitdem Täter innewohnte und was ihn zu seinen Handlungen trieb.
Das Einzige, das er bis jetzt mit Sicherheit zu glauben wusste, war, dass demjenigen von einer Skorpionfrau mit Aszendent Löwe etwas Schreckliches zugefügt worden sein musste.
Vor seinem Fenster war ein Rotkehlchen auf der Terrasse, das ihn keck anzublicken schien, und so plötzlich es gekommen war, so plötzlich war es wieder verschwunden. Er zwang sich zur Ruhe, befahl sich, nicht an Claudia van Dyck zu denken. Aber er war sich bewusst, in welch prekärer Position er sich befand – sie hielt alle Trümpfe in der Hand, sie konnte ihn zerstören, ohne selbst einen Kratzer davonzutragen. Und doch musste und würde er einen Weg finden, sie aus seinem Leben zu streichen. Es wurde ohnehin Zeit für ihn, etwas kürzer zu treten. Er stand auf, holte ein Glas und die Flasche Cognac und stellte beides auf den Tisch, zündete sich eine Zigarette an, inhalierte, behielt den Rauch lange in den Lungen, bevor er ihn durch die Nase wieder ausstieß. Dann schenkte er das Glas halb voll und schüttete den Inhalt in einem Zug hinunter. Kurz darauf fühlte er sich ein wenig besser.
Mittwoch, 16.05 Uhr
Vor dem Haus von Maibaum.
Er wohnte in der besten Gegend von Bockenheim, nur einen Katzensprung von der Uni entfernt. Zwei Autos standen vor der Garage, ein blauer Mercedes und ein roter Opel Astra. Gerade als sie aussteigen wollten, meldete sich Berger.
»Frau Randow hat eben angerufen. Ihr ist das mit dem Astrologen nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und ihr ist tatsächlich der Name eingefallen. Und jetzt raten Sie mal, wer das ist?«
»Lewell?«, fragte Durant wenig überrascht.
»Bingo. Genau der. Und seine Überprüfung hat bereits etwasErstaunliches zu Tage gefördert. Er hat ein Jahr wegen mehrfacher Vergewaltigung einer jungen Frau gesessen.«
»Wann war das?«
»Vor dreizehn Jahren, 1986.«
»Das ist eine lange Zeit.«
»Egal, wir holen ihn uns …«
»Nein, noch nicht. Warten Sie noch damit. Wenn er der Albertz ein Horoskop erstellt hat, bedeutet das noch längst nicht, dass er auch ihr Mörder ist. Und sollte sie nur einmal bei ihm gewesen sein … Wenn er allerdings auch die andern kannte, dann schlagen wir zu. Aber Beweise haben wir dann immer noch nicht. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen. Wir müssen ihn in Sicherheit wiegen. Er muss denken, wir hätten nichts gegen ihn in der Hand.«
»Wo sind Sie jetzt gerade?«
»Wir stehen vor Maibaums Haus. Wir werden ihm ein paar Fragen stellen und danach ins Präsidium kommen. Und ich möchte gleich noch hinzufügen, dass der Abend wahrscheinlich etwas länger wird, weil Frau Gonzalez mit den Horoskopen der Opfer vorbeikommt. Kullmer, Güttler und Wilhelm sollen bitte auch dabei sein.«
»Ich sag Bescheid.«
Maibaum selbst öffnete den Beamten die Tür. Er war ein mittelgroßer, hagerer Mann mit einer Nickelbrille auf der
Weitere Kostenlose Bücher