Der Jäger
wollten sie von ihm?«
»Es ist eine Frau umgebracht worden, die er sehr gut kannte. Ich hab sie auch mal kennen gelernt. Komisch, er hatte gar keine Angst davor, dass ich meiner Mutter etwas davon sagen könnte. Dabei weiß ich, dass er was mit ihr hatte.«
»So, das weißt du?«, fragte Richter erstaunt. »Kann es nicht auch nur eine gute Bekannte gewesen sein?«
»Nein.« Maria van Dyck schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie war nicht nur eine Bekannte. Nicht, wie die beiden sich angesehen haben.«
»Und wie stehst du der Sache gegenüber?«
»Es ist sein Leben. Außerdem haben sich meine Eltern schon seit Jahren nichts mehr zu sagen. Also, was soll’s.«
»Liebst du deswegen deinen Vater weniger?«
»Nein, warum? Er ist mein Vater und … Von meiner Mutter weiß ich, dass sie auch diverse Liebhaber hat. Es interessiert mich aber nicht.«
Richter zuckte kaum merklich zusammen. Diverse Liebhaber? Ihm hatte Claudia van Dyck immer gesagt, er sei der Einzige neben ihrem Mann. Und jetzt sprach Maria von mehreren Affären, die ihre Mutter pflegte. Sie wurde immer unergründlicher für ihn. Wer waren die anderen? Kannte er sie vielleicht sogar? Kleiber, Lewell, Maibaum, es kamen so viele in Frage, wobei er Kleiber eigentlich ausschloss. Der hatte es sicher nicht nötig, bei einer solchen Frau, die er zu Hause hatte, etwas mit Claudia van Dyck anzufangen.
»Was wollen wir heute machen?«, fragte Richter, der bestrebt war, das Thema so schnell wie möglich zu wechseln.
»Eigentlich will ich gar nichts machen. Ich möchte im Moment nicht über meine Vergangenheit nachdenken. Mir ist gestern Abend noch so viel eingefallen, so viele Erinnerungen sind zurückgekommen, dass ich jetzt weiß, dass bald alles vorüber ist. Ich weiß, die Dämonen werden verschwinden. Ich werde sie einfach verjagen.« Sie lächelte bei den letzten Worten geradezu bezaubernd, ihre smaragdgrünen Augen leuchteten wie selten zuvor.
»Ich habe gestern übrigens das erste Mal seit acht Jahren wieder gebadet. Können Sie sich das vorstellen? Ich hatte keine Angst mehr vor dem Wasser. Ich bin ins Bad, habe die Tür abgeschlossen und mir Wasser einlaufen lassen. Ich bin mindestens eineStunde dringeblieben. Ich war ja auch allein zu Hause, meine Mutter war mal wieder weg, hat sich wahrscheinlich mit einem ihrer Liebhaber vergnügt, und mein Vater hat sich mit einem Freund getroffen. Es war einfach herrlich. Es ist, als ob eine Zentnerlast von mir abgefallen wäre. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe keine Angst mehr vor Wasser!«
»Das freut mich. Wirklich. Dennoch werden wir um eine Therapie nicht herumkommen. Die meisten Patienten, die in ihrer Kindheit und Jugend derart schwerwiegende traumatische Erlebnisse hatten und sie so weit ins Unterbewusstsein verdrängt haben, dass sie sich über einen so langen Zeitraum praktisch nicht mehr daran erinnern können, fühlen sich, kurz nachdem die Erinnerung zurückgekehrt ist, oftmals entweder sehr schlecht oder tatsächlich wie befreit. Fakt ist aber auch, dass dieses Gefühl des Befreitseins in der Regel nur von kurzer Dauer ist. Wir müssen noch weiter miteinander arbeiten, es geht darum, alles in eine richtige Ordnung zu bringen. Verstehst du, was ich meine?«
»Ich denke schon. Sie meinen, ich bin noch nicht vollständig geheilt. Es hätte mich auch gewundert, wenn das so schnell gehen würde.«
»Genau. Es geht nicht so schnell, wie man hofft. Aber was jetzt kommt, ist nur noch eine Aufarbeitung und, wie du so schön gesagt hast, wir werden gemeinsam die Dämonen verjagen. Deine Psyche war über so viele Jahre hinweg einer derart großen Belastung ausgesetzt, dass es jetzt erst einmal wichtig ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten, und zwar in allen Einzelheiten, und dann Schritte einzuleiten, dieses Erlebte als einen Bestandteil deines Lebens zu betrachten, damit du allmählich zur Ruhe kommst. Und wichtig ist auch, dass du dich auf die Gegenwart konzentrierst. Du wirst sehen, noch fünf oder sechs Hypnosesitzungen und anschließend eine entsprechende Gesprächstherapie werden dich endgültig frei machen …«
Das Telefon läutete, Richter nahm ab. Es war Durant, die ihmkurz etwas durchgab, das für das Täterprofil von Bedeutung sein konnte. Er notierte es, steckte den Zettel zu seinen anderen Unterlagen. Dann wandte er sich wieder Maria van Dyck zu, die sich erhoben hatte.
»Professor Richter, seien Sie mir nicht böse, aber ich wollte nur kurz vorbeischauen und Ihnen sagen, dass es
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