Der Jäger
gefahren?«
Kullmer zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Sehen Sie. Manche Menschen lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Und Juliane Albertz war vermutlich eine solche Frau.«
Frau Güttler kam wieder herein, stellte ein Glas und eine Flasche auf den Tisch. Richter schenkte sich ein und trank einen Schluck.
»Gut, kommen wir jetzt zum wichtigsten Punkt – dem Täter selbst. Er ist zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, verheiratet, in sozial gesicherter Stellung, vermutlich sogar wohlhabend. Ein jüngeres Alter ist auszuschließen, da er sehr engen Kontakt zu Frauen gepflegt hat, die zwischen dreißig und Anfang vierzig waren. Er ist charmant, höflich, verfügt über außerordentlich gute Manieren, hohe Menschenkenntnis, eventuell sogar eine psychologische Ausbildung. Er hat zudem eine enorme sexuelle Ausstrahlung, ist sehr charismatisch und – er ist extravertiert und introvertiert zugleich. Die Extraversion zeigt er auf gesellschaftlichen Zusammenkünften, doch wird er nie seine wahren Gefühle preisgeben.
Er ist auf eine gewisse Weise humorvoll, spöttisch, wobei dieser Spott auch in beißenden Zynismus ausufern kann. Er ist redegewandt, ordnungsliebend und legt großen Wert auf das Einhalten von Etikette. Er ist weit überdurchschnittlich intelligent, sehr belesen, ist sicher im Auftreten und scheut sich auch nicht, vor großen Menschenansammlungen zu sprechen. Er liebt gute Musik, ist überhaupt allen musischen Dingen gegenüber sehr aufgeschlossen, er geht gerne elegant aus, fühlt sich in vertrauter Umgebung wohl, zieht dabei die vertraute Umgebung zu Hause vor.
Bei Zusammenkünften welcher Art auch immer will er nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen, sondern ist eher ein stiller, aber sehr genauer Beobachter und Zuhörer. Das Lied »Time to say goodbye«, das bei Frau Kassner und Frau Koslowski spielte, alsSie sie gefunden haben, ist wohl in diesem Fall auch zynisch gemeint, entspricht jedoch dem allgemeinen Musikgeschmack des Täters. Durch sein sicheres und charmantes Auftreten gewinnt er sehr schnell nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Herzen der Frauen. Er ist sehr gepflegt und gut aussehend und gehört zu jenen Menschen, denen man niemals gewalttätiges Handeln oder gar Mord zutrauen würde. Bei ihm fühlen sich Frauen auf Anhieb sicher und geborgen. Er verfügt über astrologische Kenntnisse und interessiert sich auch anderweitig für alle Bereiche der Esoterik. Alles in allem ist er ein vielseitig interessierter Mensch. Er ist außergewöhnlich gefühlsbetont, das heißt, er kann lieben wie kaum ein anderer, diese Liebe kann aber, wenn er selbst oder jemand, den er sehr liebt, verletzt oder gedemütigt wird, in tödlichen Hass umschlagen.
Er sucht bei seinen Taten keine sexuelle Befriedigung und ist auch sonst sexuell eher zurückhaltend. Er persönlich legt keinen Wert auf ausgefallene Unterwäsche, er will nur, dass seine Opfer sie tragen, damit er sie dadurch besser als Huren identifizieren kann. Er kannte jedes seiner Opfer schon lange vor der Tat, er hat sozusagen ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufgebaut. Bei ihm haben sich über viele Jahre hinweg große Frustrationen angestaut, es besteht, wie schon erwähnt, eine starke Vaterbindung. Das Verhältnis zur Mutter ist hingegen eher gestört.
Und jetzt kommt etwas, das Ihnen wahrscheinlich nicht gefallen wird, aber er ist im Grunde seines Herzens ein gutmütiger, loyaler, doch leider auch psychisch sehr instabiler Mensch. Er leidet nicht nur unter dem, was ihm angetan wurde, sondern auch unter seinen Taten. Ein Kindheitstrauma, das lange in seinem Unterbewusstsein geschwelt hat, ist plötzlich durch irgendein Ereignis hervorgebrochen und eskaliert nun in dieser extremen Gewalt. Es handelt sich um eine psychopathische Persönlichkeit mit kaum vorhandenem Schamgefühl, er ist nicht selbstmordgefährdet, das heißt, er hat auch nie einen Selbstmordversuch unternommen,er zeigt keinerlei Anzeichen von Nervosität, er kann kühl planen und abwarten und ist unfähig, aus Erfahrungen zu lernen. Wichtig bei einer psychopathischen Persönlichkeit ist, dass vieles von dem, was derjenige sagt, gelogen ist und diese Lügen selbst auf einem Lügendetektor kaum nachzuweisen wären.
Da drei der Opfer im Freien gefunden wurden, lässt dies nur den Schluss zu, dass er ein eigenes Haus besitzt, denn in einer Mietwohnung in einem dicht besiedelten Wohngebiet wäre es viel zu riskant, die Leichen abzutransportieren. Er könnte
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