Der Jäger
uns auch regelmäßig gesehen. Man konntesich hervorragend mit ihm unterhalten. Aber ich verstehe nicht, warum er Sie angelogen hat. Er hatte doch keinen Grund dazu. Natürlich kannte er Frau Kassner und auch Carola Weidmann und Vera Koslowski. Und wenn Sie sagen, Frau Albertz habe sich von ihm ein Horoskop erstellen lassen, dann begreife ich seine Haltung erst recht nicht.«
»Wir begreifen es ebenso wenig. Aber nichtsdestotrotz ist er tot. Und ich bin sicher, es war derselbe Täter, der auch die Frauen umgebracht hat. Welche Freunde hatte Herr Lewell außer Ihnen noch?«
»Da fragen Sie mich zu viel. Ich bin im Augenblick nur geschockt.«
»Wussten Sie etwas über seine Vergangenheit?«
Richter nickte. »Ja, wir haben einige Male darüber gesprochen. Sie meinen sicher das mit dem Gefängnis.«
»Ja. Und wir hatten ihn sogar für einen Moment mit in den Kreis der Verdächtigen einbezogen. Deshalb wollten wir heute mit ihm hier auf dem Präsidium sprechen. Leider sind wir zu spät gekommen.«
Richter schüttelte erneut den Kopf und sah auf seine Hände. »Konrad war ein seltsamer Vogel. Er hatte überschüssige Energien, mit denen er häufig nichts anzufangen wusste. Erst in den letzten Jahren hat er es geschafft, sie einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Er hatte auch nicht mehr solch gravierende Probleme mit Frauen wie früher. Aber ich kenne seine Kindheitsgeschichte, und die war alles andere als positiv. Sie müssen wissen, er wuchs in einem Elternhaus auf, das man als asozial im klassischen Sinne bezeichnen kann. Sein Vater war ein einfacher Arbeiter, der regelmäßig seinen Lohn versoffen hat, seine Mutter pflegte ständig wechselnde Männerbekanntschaften und verdiente damit den eigentlichen Lebensunterhalt für die Familie. Konrad hat es nicht einfach gehabt, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Die Einzige, die ihm geholfen hat, war seine Tante,die ihn mit zwölf zu sich geholt hat, nachdem sein Vater an den Folgen einer Leberzirrhose gestorben und die Mutter offensichtlich unfähig war, sich um den Jungen zu kümmern, weil sie selber Alkohol- und Drogenprobleme hatte. Ab da ging es eigentlich mit ihm bergauf. Das Einzige, was ihn behinderte, war seine Unbeherrschtheit und sein übermäßiger Sexualtrieb, den er wohl nie richtig zu kontrollieren wusste. Aber wer von uns ist schon von gewissen Trieben oder Obsessionen frei? Selbst wenn sich diese auch nur im gedanklichen Bereich abspielen. Was Konrad aber letztendlich auszeichnete, war seine unglaubliche Intuition, das sofortige Erfassen einer Situation und auch sogleich zu erkennen, mit was für einem Menschen er es zu tun hatte. Ich will damit sagen, er konnte innerhalb weniger Sekunden einem Menschen auf den Grund der Seele blicken. Es sei denn, er hatte mal wieder Probleme mit Frauen, dann war sein Blick vernebelt. Er selber hat sich ja als Astro-Psychologe bezeichnet, und ich glaube, er hat sich den Titel zu Recht verliehen. Ich meine, das ist keine offizielle Berufsbezeichnung, er hat nie Psychologie studiert, und dennoch steckte in ihm ein hervorragender Psychologe. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sein Ruf sich sehr schnell rumgesprochen hat und seine Klientel sich mehr und mehr aus zumeist sehr wohlhabenden Personen zusammensetzte. Er hat mir einige Male erzählt, wer so alles zu ihm gekommen ist. Nur, das hilft ihm jetzt alles nichts mehr.«
»Würden Sie sich als seinen besten Freund bezeichnen?«, fragte Durant und steckte sich eine Zigarette an.
Richter zuckte die Schultern. »Ich habe zumindest gedacht, ich wäre es gewesen, aber offensichtlich gab es da noch jemanden.«
»Ja, jemanden, der, wie es scheint, sogar einen Schlüssel zu seinem Haus hatte. Denn es wurde nicht eingebrochen, Herr Lewell wurde im Schlaf erschossen. War er bestimmten Personen gegenüber vielleicht zu vertrauensselig?«
»Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls keinen Schlüssel, falls Sie das wissen wollen. Und so genau habe ich ihn nun auch wieder nicht gekannt, wie mir gerade bewusst wird. Es gab bestimmte Bereiche, wo er sich nicht in die Karten schauen ließ. Es tut mir wirklich Leid, Ihnen da nicht weiterhelfen zu können.«
»Tja, das war’s eigentlich, was ich Ihnen mitteilen wollte.«
Richter erhob sich, nahm seinen Aktenkoffer und reichte Durant die Hand. »Es ist eine sehr unerfreuliche Nachricht. Aber wie hat der ehemalige Trainer von Eintracht Frankfurt, Stepanovic, so schön gesagt: ›Lebbe geht weiter‹. Ich wünsche Ihnen alles Gute
Weitere Kostenlose Bücher