Der Jäger
Maibaum impotent war, oder ob er vortäuschte, es zu sein. Oder log sie, um einen Grund vorzugeben, ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen? Und warum fragte sie ihn, ob er mit ihr schlafen würde? Natürlich würde er es tun, allein um zu sehen, welche sexuelle Aktivität sie entwickelte. Er war ein Abenteurer, der die Gefahr liebte, und sie wäre allemal ein Abenteuer wert gewesen. Womöglich sogar ein sehr lohnendes. Auch wenn Alexander Maibaum ein Mann war, den Richter wegen seines großen Wissens und seiner Freundlichkeit und Umgänglichkeitsehr schätzte und mit dem er sogar schon oft bei einem Glas Bier oder Wein zusammengesessen und über Kunst und Kultur, Psychologie und den Lauf der Welt philosophiert hatte. Er war ein auf fast allen Gebieten beschlagener Mann, und Richter zweifelte an der Wahrheit der von Carmen Maibaum aufgestellten Behauptung. Denn Alexander Maibaum hatte nie auch nur den Hauch einer Andeutung gemacht, als würde in seiner Ehe etwas nicht stimmen. Richter hatte sogar immer den Eindruck gehabt, als würden die Maibaums eine hervorragende Ehe führen, auf jedem Gebiet.
»Und welche Lösung schlagen Sie vor?«, fragte sie mit spöttischem Blick.
»Erst reden wir. Ich will alles von Ihnen wissen. Alles. Von Ihrer Kindheit an. Und dann tasten wir uns Schritt für Schritt vor – bis zum Jetzt.«
»Gut, aber bitte nennen Sie mich Carmen. Ich mag es nicht, mit meinem Nachnamen angeredet zu werden. Nur Fremde nennen mich beim Nachnamen.«
»Also gut, Carmen, ich bin bereit.«
»Reden wir bei einem schönen Essen? Morgen Abend? Irgendwie bin ich hier nicht frei. Ich verspreche Ihnen auch, ein ganz braves Mädchen zu sein und Ihnen alles über mich zu erzählen.«
Richter überlegte. Ihr Angebot war verlockend, sie war es, ihr Blick, der bis auf den Grund seiner Seele drang, ihre Sinnlichkeit, wie sie vor ihm stand und ihn musterte. Wie fühlte sich wohl ihre Brust an, wie ihre …?
»Wann morgen?«
»Um acht? Und Sie wählen das Lokal aus. Am besten eines, wo wir ungestört reden können.«
»Und was sagt Ihr Mann, wenn Sie am Samstagabend weg sind?«
»Was soll er schon sagen, wenn ich mit einer Bekannten unterwegs bin?«, erwiderte sie spitzbübisch lächelnd.
»Einverstanden. Dann treffen wir uns beim Chinesen in der Freßgaß. Sie kennen das Restaurant?«
»Ich werde es finden. Bis morgen Abend dann«, sagte sie und erhob sich. »Ich freue mich darauf.«
Richter begleitete sie zur Tür, bewunderte ihre Beine, ihren wiegenden Schritt, Dinge, die er so vorher noch nie bewusst wahrgenommen hatte. Ihm war klar, dass es nicht bei dem Essen bleiben würde. Wen kümmerte es schon.
Er griff zum Telefon, wählte die Nummer von van Dyck. Er ließ es lange klingeln, wollte schon auflegen, als eine weibliche Stimme sich meldete.
»Ja?«
»Claudia?«, fragte Richter, der nicht sicher war, ob er mit ihr oder dem Hausmädchen sprach.
»Ja, was gibt’s?«
»Ich bin’s, Alfred. Ich hab gehört, was passiert ist. Wie geht es dir?«
»Wie soll’s mir schon gehen«, antwortete sie mit schwerer Stimme. Richter hörte sofort, dass sie getrunken hatte. »Beschissen.«
»Können wir uns heute trotzdem kurz sehen?«
»Warum? Mir ist im Moment nicht danach. Ein andermal wieder.«
»Ist dein Mann zu Hause?«
»Nein, er ist weggefahren. Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Dann komm ich zu dir. Ich muss mit dir reden.«
»Worüber, verdammt noch mal?«
»Das sag ich dir, wenn ich bei dir bin. Ich setz mich gleich ins Auto und fahr los.«
»Nein. Wenn du mich unbedingt sehen willst, komm heute Abend in meine Wohnung. Dann bin ich vielleicht auch wieder einigermaßen nüchtern. Sei um sieben da. Aber erwarte nicht zu viel von mir.«
»Dann bis nachher, Claudia«, sagte Richter und legte auf. Er verengtedie Augen zu Schlitzen, seine Kiefer mahlten aufeinander, er war zornig und traurig zugleich. Er verfluchte den Tag, an dem er sich mit Claudia van Dyck eingelassen hatte. Und er wünschte sich, Maria nie kennen gelernt zu haben. Nein, das stimmte nicht. Maria war der einzige Mensch, dessen Bekanntschaft gemacht zu haben ihm etwas bedeutete. Sehr viel bedeutete. Aber heute Abend würde er Claudia zur Rede stellen. Und ihn scherte es einen Dreck, ob sie ihn vor allen Freunden und Bekannten diffamierte.
Freitag, 12.30 Uhr
Julia Durant und Frank Hellmer hielten auf ihrem Weg ins Präsidium an einer Imbissbude an und bestellten sich beide eine Currywurst mit Pommes. Hellmer trank eine
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