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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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begaben sich in das Behandlungszimmer, wo sie sich setzte. Ihre blauen Augen blitzten kurz auf, als Richter hinter seinen Schreibtisch ging, sich eine Zigarette anzündete und ihr gegenüber Platz nahm.
    »Wie war Ihre Woche?«, fragte er, während sie sich ebenfalls eine Zigarette aus der Tasche nahm.
    »Gar nicht so schlecht. Aber immer noch längst nicht so gut, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Doch in meinem Leben läuft ohnehin so einiges schief. Und ich muss endlich mit jemandem darüber reden. Manchmal glaube ich, wahnsinnig zu werden.«
    »Weshalb?«, fragte Richter.
    »Das ist eine lange Geschichte. Und allmählich komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass mit mir etwas nicht stimmt.Wie ich schon am Montag sagte, ich glaube, ich bin ein schlechter Mensch.«
    »Frau Maibaum, am Montag dachte ich, wir hätten diesen dummen Gedanken vertrieben. Was ist los?«
    Sie zündete sich die Zigarette an, sah durch den Rauch hindurch Richter in die Augen und zuckte die Schultern. »Zu viel. Viel zu viel … Aber letztendlich hängt es zum großen Teil auch mit meinem Mann zusammen. Ich rede aber nur darüber, wenn Sie mir versprechen, ihm gegenüber vollkommenes Stillschweigen zu bewahren.«
    »Frau Maibaum, Sie wissen, dass das selbstverständlich ist. Was ist Ihr Problem?«
    »Mein Problem?«, wiederholte sie mit monotoner Stimme. »Mein Problem ist, dass ich meinen Mann liebe. Ich liebe ihn viel zu sehr.«
    »Und das soll ein Problem sein?«, fragte Richter zweifelnd.
    »Für mich schon.« Sie machte eine Pause, betrachtete ihre gepflegten Hände und sagte dann: »Finden Sie mich attraktiv?«
    »Ja, warum?«
    »Das hört sich nicht sehr überzeugend an.«
    »Was möchten Sie von mir hören?«
    »Die Wahrheit.«
    »Gut, die Wahrheit ist, ich finde, Sie sind eine sehr attraktive Frau. Haben Sie damit Probleme?«
    »Nein. Aber ganz offensichtlich mein Mann.«
    »Ist er eifersüchtig?«
    »Nein, zumindest merke ich davon nichts.«
    »Neigt er zu Gewalt? Es kommt nicht selten vor, dass Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, eine besondere Abhängigkeit zu ihnen entwickeln. Ist es das?«
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte gezwungen. »Wenn es das nur wäre! Nein, ich fürchte, er liebt mich nicht. Ich gebe ihm all meine Liebe, aber er erwidert sie nicht.«
    »Wie äußert sich das?«
    »Er schläft nicht mehr mit mir, aber ich weiß, es hat keine physische Ursache. Es spielt sich in seinem Kopf ab. Wir hatten seit mehr als fünf Jahren keinen Sex mehr.«
    »Fünf Jahre ist in der Tat eine sehr lange Zeit. Und darunter leiden Sie, was ich verstehen kann.«
    »Eine Frau in meinem Alter leidet immer unter so etwas. Ich sehne mich nach ihm, nach seiner Zärtlichkeit, nach seinen Berührungen, aber er kann oder will nicht mit mir schlafen. Und das macht mich ganz krank.«
    »Zeigt er denn sonst irgendwelche Gefühle Ihnen gegenüber? Schenkt er Ihnen Blumen oder andere Kleinigkeiten? Ist er höflich, freundlich, nett? Nimmt er Sie in den Arm? Was tut er, oder was tut er nicht?«
    »Alles das, was Sie eben genannt haben. Aber es reicht mir nicht. Keiner Frau würde das reichen …« Sie stockte, schlug die Beine mit den schwarzen Seidenstrümpfen übereinander, ihr Blick ging zum Fenster hin. »Das Schlimme ist, ich weiß, dass er eine Affäre hatte. Und allein daran zu denken bringt mich fast um. Warum schläft er mit einer anderen Frau und nicht mit mir? Können Sie mir das sagen?«
    Sie sah ihn Hilfe suchend an. Richter hatte sich Notizen gemacht und ihre Körpersprache unauffällig registriert. Sie wirkte, während sie sprach, entspannt, nicht emotional erregt, sondern sie sagte alles in einem ruhigen Ton, ohne ein Verziehen der Mundwinkel, ohne zu zittern. Sie war die Ruhe in Person, kein Weinen, keine wirkliche Anklage gegen ihren Mann, kein sichtbares Hadern mit ihrem Schicksal. »Und deswegen glaube ich, dass ich ein schlechter Mensch bin. Meine Gedanken sind bisweilen geradezu pervers, ich stelle mir die absurdesten Dinge vor, ich …«
    »Sie haben mir am Montag nicht gesagt, weshalb Sie meinen, ein schlechter Mensch zu sein. Wollen Sie es jetzt tun?«
    »Es ist einfach nur ein Gefühl. Nicht zu beschreiben. Es ist in meinem Kopf.«
    »Wie macht es sich bemerkbar?«
    »Indem ich Dinge tue, an die ich vor Jahren nicht einmal im Traum gedacht hätte. Ich will ihn verletzen für das, was er mir antut, aber ich weiß, letztendlich verletze ich mich selbst. Es ist wie eine Selbstkasteiung. Andererseits

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