Der Jäger
ihrer Arbeitsstelle, sehr zurückhaltend, siemachte ihre Übungen und ging wieder. Sie hat, wie uns glaubwürdig versichert wurde, nie an der Bar gesessen oder irgendwelche Kontakte zu anderen Studiobesuchern aufgenommen. Auch die Befragungen ihrer Arbeitskollegen verliefen ergebnislos.
Kommen wir zu unserm nächsten Opfer. Carola Weidmann, zweiundzwanzig, verlobt, dunkelbraunes Haar, dunkle Augen, einssechsundsiebzig, zweiundsechzig Kilo. Besaß eine Boutique in der Goethestraße. Eine junge, dynamische Frau, die jedoch laut ihrem Verlobten und ihren Eltern kein flippiger Typ war. Sie wurde von allen damals Befragten als äußerst zuverlässig und diszipliniert beschrieben. Sie war keine Partygängerin, hielt sich lieber zu Hause auf. Keine Hobbys. Wie bei Albertz ab und zu Treffen mit Freunden, in dem Fall Freundinnen und Bekannten. Am 26. Oktober 98 wollte sie, so sagen ihre Eltern, ebenfalls mit einer Freundin essen gehen. Aber auch hier weiß keiner von allen Freunden und Bekannten etwas von einem Essenstermin mit ihr. Mit wem hat sie sich getroffen?
Nummer drei. Erika Müller, fünfunddreißig, verheiratet, zwei Kinder, Hausfrau, blond, blaue Augen, einsdreiundsechzig, sechsundsechzig Kilo. Ehemann Alkoholiker. Besuchte einmal in der Woche freitags Al-Anon, das ist für die, die damit nichts anfangen können, eine den AAs angeschlossene Organisation für Angehörige von Alkoholikern, meist Frauen. Sie verließ um kurz vor sieben das Haus und sagte zu ihrem Mann, sie sei wie immer so gegen dreiundzwanzig Uhr zu Hause, da ein Teil der Gruppe in der Regel nach dem Meeting noch in ein Lokal gegangen ist. Sie hat sich aber bereits gegen halb neun dort verabschiedet, weil sie noch etwas vorhatte. Ihrer Freundin wollte sie aber nicht sagen, was sie vorhatte. Sie bat diese Freundin, eine Frau Schwab, auf keinen Fall ihrem Mann etwas davon zu sagen, und auf die nochmalige Frage von dieser Schwab, mit wem sie sich denn treffe, antwortete sie nur, sie würde ihr das ein andermalerzählen. Zwei Tage später ist sie tot. Ich habe jedoch Tagebücher von ihr, die ich nachher mit nach Hause nehmen werde, um ein bisschen drin zu blättern. Sie ist bis jetzt das einzige Opfer, von dem wir wissen, dass es ein Tagebuch geführt hat.
Und jetzt zu Nummer vier. Judith Kassner, fünfundzwanzig, ledig, brünett, einssiebenundsechzig, circa achtundfünfzig Kilo. Studierte Mathe und Physik, arbeitete aber nebenbei als Prostituierte oder besser Edelnutte, wovon sie sich einen recht aufwendigen Lebensstil leisten konnte. Teilte sich mit einer Musikstudentin eine Wohnung in der Gräfstraße, hatte aber noch eine Wohnung in der Kelsterbacher Straße, wo sie offensichtlich auch einen Teil ihrer Freier empfing. Von ihr wissen wir bis jetzt nur, dass ihr Vater unbekannt ist und die Mutter, verheiratet mit einem Bankier, in der Toskana lebt. Sie hat sich gestern Mittag gegen eins von ihrer Freundin verabschiedet und gesagt, sie sei gegen sechs wieder zurück. Das ist alles, was wir bis jetzt an Fakten haben.« Sie wollte sich gerade setzen, als sie die Hand hob und sagte: »Ach ja, noch was. Professor Morbs hat uns vorhin darauf hingewiesen, dass alle Opfer, als sie gefunden wurden, teure Dessous anhatten. Ich meine, es gibt schon Frauen, die ab und zu etwas ausgefallene Unterwäsche tragen, aber alle vier? Ich möchte einen von Ihnen bitten, sich noch einmal die Berichte der Opfer anzusehen und mir zu sagen, welche Unterwäsche sie getragen haben. Wenn’s geht mit dem Herstellernamen. Wie sieht’s mit Ihnen aus, Herr Kullmer? Das dürfte doch Ihr Gebiet sein.«
»Mit Vergnügen«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen.
Julia Durant nahm einen letzten Zug an der Zigarette und drückte sie im Aschenbecher aus. Ein erneuter Blick in die Runde, Berger meldete sich grinsend. »Darf ich auch etwas sagen?«
Durant grinste zurück und antwortete: »Sie sind der Boss.«
»Also, eine Hypothese. Vier Frauen, vier völlig unterschiedliche Lebensläufe. Unterschiedliches Alter, unterschiedlicher Bildungsgrad,unterschiedliche Interessen. Fangen wir mit der Müller an. Ehemann Alkoholiker, sie ist frustriert, lernt einen
netten
Mann kennen, sie und vor allem er wollen aber, dass die Sache geheim bleibt.
Albertz, geschieden, mit dreißig im besten Frauenalter, vermutlich sehr konservativ erzogen, vielleicht sogar von ihrer Mutter unterdrückt, lernt ebenfalls einen
netten
Mann kennen, muss dies aber aus verständlichen Gründen vor der kränkelnden
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