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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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stürmen und mit dem Dolch auf die nächstbeste Gestalt einstechen? Oder sollte er warten, bis Bruno mit seinen sirrenden Bolzen und seiner erratischen Treffsicherheit einen nach dem anderen im Schlaf erschossen hatte? Würde Raimund mit gezogenem Schwert in das Feuer springen, mit einem Funkenregen die Holzscheite auseinandertreten und die Klinge schwingend alle Schurken niedermähen, die entsetzt aus dem Schlaf emporsprangen? So hatte er sich seinen Herrn immer im Heiligen Land vorgestellt, als erster von einer Belagerungsbrücke über die Zinnen Jerusalems stürmend, Fußtritte verteilend und mit wilden Ausfällen die Heiden über den Mauerkranz stoßend; es hatte nichts ausgemacht, daß es keinen Kampf um Jerusalem gegeben hatte, das Bild hatte sich ihm eingebrannt.
    Das Feuer war jetzt näher. Er bildete sich ein, das Prasseln der kleinen Flammen zu hören. Die Lichtung lag hinter einem natürlichen Wall aus gestürzten Bäumen, über deren moosbewachsene Leichen das Licht des Feuerseinen schwachen Saum wob. Das Lager wurde von allen anderen Seiten von Gesträuch und jungen Bäumen begrenzt, und es ging ihm auf, daß er, sollte es zu einem Sturm auf Albert und seine Kumpane kommen, den besten Ausgangsort hatte: Er mußte sich nur über den Baumstamm schwingen, ein paar Sprünge, und schon war er unter ihnen. Er wog den Dolch in seiner Hand, seine einzige Waffe, und fühlte sich hilf- und nutzlos.
    Das Feuer brannte in einem unregelmäßigen Ring aus Steinen, ein niedrig tanzendes Bündel Flammen über einem Häufchen verkohlender Holzscheite und Asche. Die Männer lagerten in unterschiedlicher Entfernung darum herum, eingehüllt in Decken oder Felle und geräuschlos schlafend. Sie hatten eine Wache aufgestellt, ebenfalls in eine Decke gehüllt, aus der nur zerrauftes Haar hervorsah, zusammengekauert vor dem Feuer sitzend und leise schwankend. Offensichtlich kämpfte der Mann mit dem Schlaf. Philipp ließ seine Augen wandern, während sein Herz immer lauter zu klopfen begann. Er konnte Aude nirgends sehen. Es lagen drei Deckenbündel um das Feuer herum, eines davon leer. Dann sah er das Hemd. Es lag ganz in seiner Nähe.
    Es war zerfetzt; in seiner ganzen Länge vorne aufgerissen und beiseite geworfen. Es mußte schmutzig sein, aber im Halblicht, das es umgab, leuchtete es rein und weiß. Das Hemd war das einzige Zeichen von Aude. Was sie mit ihrem Körper angestellt hatten, wußten nur die Männer allein.
    Philipp fühlte nichts; oder er fühlte zuviel, um es aufnehmen zu können. Er spürte nicht einmal mehr den Wind, der in sein feuchtes Gewand fuhr und den Schweiß erkalten ließ. Er starrte auf das Hemd und dann zurück zumFeuer, vor dem der Wächter saß. Erst als etwas rauh gegen seine Beine stieß und sich in seinen Unterleib bohrte, merkte er, daß er auf die Knie gesunken war. Er stützte sich mit einer Hand an dem toten Baumstamm ab. Der Wächter hörte nichts, er zuckte nicht einmal zusammen. Er würde im Halbschlaf sterben, ohne daß er es recht bemerkte; die anderen beiden würde der Tod im Schlaf finden. Sie waren zu Aude weniger gnädig gewesen.
    Ein Gedanke stieg in ihm empor und platzte wie eine Luftblase auf einer Wasseroberfläche: Schieß endlich. Der Gedanke war für Bruno bestimmt. Er wünschte sich, den Schlag der Sehne zu hören und das Geräusch des fliegenden Bolzens, den dumpfen Schlag des Treffers. Er wünschte sich zu sehen, wie der Wächter lautlos vornüber ins Feuer kippte und den nächsten Bolzen zu hören, der den ersten der Schläfer an den Waldboden nagelte. Schieß endlich.
    Was hatte Raimund vor? Er mußte die Situation mittlerweile genauso wie Philipp überblickt haben. Worauf wartete er? Philipp fühlte, wie sich ein Brüllen in ihm aufbaute. Wenn Raimund keinen Befehl gab, würde er ihn geben. Er rappelte sich wieder auf. Aude war tot. Der Gedanke löste noch immer nichts als Taubheit in ihm aus, eine Taubheit aber, in der das Entsetzen anzuklingen begann. Er öffnete den Mund. Wenn er schrie, würden die anderen erwachen, aber es spielte keine Rolle. Bruno würde den ersten Bolzen absenden und den Wächter töten, und die anderen wären viel zu verwirrt, um lange Gegenwehr zu leisten. Wenigstens würden sie so ihren Tod bewußt erleben. Philipp wollte ihre entsetzten Augen sehen. Er wollte sie schreien hören. Er holte Atem, und das Brüllen, das in ihm tobte, stieg in seine Kehle. Aude war tot. Er sah den Wächter sterbend ins Feuer rollen. Er machte sich bereit, über

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