Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
heran. Er sagte, sie wäre endlich jemand, der sich lohnte, und er wolle sie nicht schon in der ersten Nacht zuschanden reiten. Es war ihr klar, daß sie nur überleben würde, wenn sie keinen Widerstand leistete, und sie erklärte ihm, sie würde ihm ohne Gegenwehr zu Willen sein. Er fesselte sie trotzdem und schlug sie. Danach banden sie sie an einen Baum und warfen ihr eine Decke hin. Albert befahl einem der Männer, den er Hermann nannte, Wache zu halten. Die beiden anderen rollten sich in ihre Decken und schliefen ein.«
»O Gott, Aude«, flüsterte Philipp und spürte Tränen hinter seinen Lidern.
»Es war ihr klar«, sagte Raimund, »daß Hermann nur darauf wartete, bis seine beiden Gefährten einschlafen würden. Heimlich zog sie das Messer aus dem Stiefel. Sie hatte es während des Rittes aus ihrem Hemd geholt und dort versteckt. Sie tat, als ob sie schliefe. Dann spürte sie Hermanns Hand an ihrer Kehle. Er drückte zu, damit sie nicht schreien konnte. Während Hermann sich mit seiner Hose beschäftigte, stieß sie ihm das Messer in den Hals und schnitt ihm die Gurgel durch. Er konnte nicht mehr schreien, aber er zuckte und zappelte und versuchte sich loszureißen. Es dauerte eine Weile, bis er tot war. Sie schnitt sich von ihren Fesseln los und kroch zum Feuer hinüber. Albert lag näher zum Feuer als der dritte Mann. Sie näherte sich diesem. Er lag auf dem Bauch, den Kopf auf einer zusammengerollten Decke, die Kehle frei. Sie zog das Messer hindurch und hockte sich auf ihn, bis auch er ausgezappelt hatte. Dann sah sie zu Albert hinüber. Ihre Augen trafen die seinen. Er war soeben erwacht. In ihrem Entsetzen packte sie den nächstbesten Stein aus dem Ring um das Feuer, ohne zu bemerken, wie heiß er war. Sie hob ihn über den Kopf, Albert richtete sich auf, aber es war zu spät. Sie traf seine Nase und trieb ihm das Nasenbein ins Gehirn. Er gab keinen Laut mehr von sich.«
Aude sagte noch etwas, einen kurzen Satz. Raimund schlug die Augen auf und musterte sie. Sie hatte die Lippen zusammengepreßt und schwieg. Raimunds Gesicht verzog sich. Er schloß die Augen.
»Was hat sie gesagt?« flüsterte Philipp. Raimund hörte, wie knapp er davorstand, daß etwas in ihm zerbrach.
»Sie sagte, sie hätten nur ihren Körper bekommen, nicht ihre Seele.«
Philipp schwieg. Sein Atem war fast unhörbar.
»Warum?« fragte er schließlich.
»Warum was?«
»Warum habt Ihr mich gerettet und nicht sie?«
»Ich konnte mich nur um einen kümmern.«
»Sie war hilfloser als ich. Ihr wußtet, daß genau das passieren würde.«
»Ja, ich wußte es.«
»Warum habt Ihr mich befreit?«
»Du bist mein Truchseß«, sagte Raimund.
»Das genügt mir nicht.«
»Nein«, seufzte Raimund, »mir auch nicht. Die Wahrheit ist, du bist der Sohn, den ich mit Katharina zeugte, bevor sie gezwungen wurde, Gottfried von Als zu ehelichen.«
Eine Weile später: Bruno und sein Gefährte hatten die Toten beiseite geschleift, Reisig und Laub über sie gehäuft und das Blut auf dem Boden mit weiterem Laub bedeckt. Dann hatten sie die etwas entfernt im Wald angebundenen Pferde näher zum Feuer gezogen und dabei neugierig den beschädigten Gurt von Alberts Sattel betrachtet. Ein zerrissener Lederriemen hing noch daran. Scheinbar hatte es die Bestie diesmal endgültig geschafft, in die Freiheit zu entkommen. Raimund hatte die Flammen zu einem anständig flackernden Feuer hochgepäppelt, das in der Nachtkühle des Waldes willkommene Wärme abgab. Aude lag, in alle unbeschmutzten Decken gehüllt, deren sie habhaft werden konnten, neben dem Feuer und schlief. Raimund warf Philipp aus dem Augenwinkel Blicke zu. Erhatte Raimunds Eröffnung ohne äußerliche Regung hingenommen. Er hatte nur genickt und dann sein Hemd ausgezogen, es mit Wasser aus einem der Schläuche benetzt und damit angefangen, den gröbsten Schmutz von Aude abzuwaschen. Sie hatte es über sich ergehen lassen, solange er sich ihrem Gesicht gewidmet hatte; als er darangehen wollte, ihren Oberkörper zu reinigen, hatte sie sich in die Decke gehüllt und wortlos zurückgezogen. Philipp hatte auch das ohne sichtbare Regung aufgenommen. Schließlich hatte er sich neben sie gesetzt und ihren Schlaf betrachtet, etwas, das er auch noch tat, als Raimund das Feuer schließlich in Ruhe ließ und sich an seiner Seite niederließ.
Philipp sah ihn an und senkte den Blick dann auf den Boden.
Raimund suchte nach Worten. Es war einfacher, mit etwas weniger Persönlichem anzufangen. »Ich will
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