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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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an.
    »Kann ich mich darauf verlassen, daß du keine Voreiligkeiten begehst?« fragte er.
    »Ja!« knurrte Philipp. »Ich tue, was Ihr mir sagt.«
    Sie warteten, während Bruno und der zweite Bewaffnete ihre Helme abnahmen und sich dann vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch in den Wald hinein wanden. Raimund schüttelte den Kopf über das Knacken der Aste und die anderen Geräusche, die sie verursachten. Philipp stand neben ihm und fieberte, wippte auf den Fußballen und ballte abwechselnd die Hände zu Fäusten. Er versuchte etwas aus der Richtung des Feuers zu hören ( Schreie? ) und war gleichzeitig froh und aufgebracht darüber, daß er nichts vernehmen konnte. Nach einer endlosen Wartezeit sagte er: »Gehen wir los.«
    »Philipp, sie sind gerade erst weg«, erwiderte Raimund ruhig.
    Philipp versuchte sich weiter in Geduld zu fassen. Er konnte jetzt nicht mehr verhindern, daß seine Angst um Aude sein Denken vollständig beherrschte, und seine Phantasie gaukelte ihm immer wieder Bilder vor, die sich nicht verdrängen ließen. Er sah den toten Körper von Kaplan Thomas auf dem Lager im Kloster, aber es war nicht mehr Thomas, sondern Aude, die mit ihrem zerknüllten Hemd über dem Schoß auf der Pritsche lag, ebenso nackt, ebenso erstaunlich, entsetzlich ruhig und kalt. Er sah das verwüstete Gesicht von Minstrel, als er ihn aus den Tüchern schälte, und es war das Gesicht von Aude, ohne die Entstellungen des Todes, aber deshalb um nichts weniger leblos. Er begann wieder lautlos zu beten und schwer zu atmen während dieser wenigen Minuten des Wartens. Als Raimund ihn anstieß und ihm auf der offenen Hand seinen langen Dolch präsentierte, zögerte er auf einmal, ihn zu nehmen. Er wußte, was ihn erwartete, und er wollte es nicht mehr sehen. Er streckte die Hand wie im Traum aus und nahm den Dolch an sich.
    Raimund zog sein Schwert. »Gehen wir«, sagte er ruhig.
    Es war schwieriger, sich im nächtlichen Wald fortzubewegen, als Philipp erwartet hatte. Er stolperte hinter Raimund her, dessen schwerer Körper sich trotz seines Seufzens über sein Alter geschmeidig bewegte. Es ließ sich nicht verhindern, daß kleine Zweige und Äste unter ihren Füßen brachen. Philipp schrak jedesmal zusammen, versuchte angestrengt, weitere Geräusche zu vermeiden und produzierte nur um so mehr.
    Der Lichtpunkt des Feuers schien nicht größer zu werden. Zuweilen verschwand er hinter Baumstämmen und Sträuchern, und sie änderten die Richtung, um ihren Orientierungspunkt wiederzufinden. Nach einer Weile bewegten sich Philipps Beine nicht mehr so unbeholfen wie zuvor, und seine Beklemmung war hinter der Konzentration zurückgetreten. Erst jetzt wurden die Geräusche des Waldes auch für ihn hörbar: das Knarren der Bäume, die sich in der nächtlichen Brise bewegten, das Knistern und Flüstern der sich gegeneinander reibenden Äste, und aus allen Richtungen ein Knacken, Klopfen und Knirschen, als würden Tausende von vorwärts schleichenden Füßen den Wald erfüllen. Sie bogen um eine Gruppe von jungen Fichten, die nahe beieinander standen wie ein massiver Block, und Philipp war überrascht, wie nah sie dem Lagerplatz plötzlich waren. Das Feuer war kein Lichtpunkt mehr, sondern eine deutlich erkennbare Stelle goldfarbener Helligkeit. Sie mochten bis auf hundert Mannslängen herangekommen sein.
    Raimund stieß ihn an und deutete nach links und nach rechts. Philipp nickte und schlich sich nach rechts davon. Seine Handflächen begannen wieder zu jucken, und um den Griff des Dolchs herum sammelte sich Schweiß. Der Dolch war schwer und schien doch lächerlich klein. Er schaute nach unten auf seine Füße und stieß mit der Stirn gegen den rauhen Stamm eines Baumes. Ein Windhauchfaßte ihn und ließ ihn in der plötzlichen Kühle erschauern; er war schweißgebadet, ohne daß es ihm zuvor aufgefallen wäre. Aude , dachte er, Aude , und die Bilder tanzten wieder empor, die Aude als Leichnam zeigten, Aude in der gekrümmten Gestalt Ernsts auf dem Boden zu Radolfs Füßen, Aude in der alten Frau, die zwischen ihm und Galbert auf der Tischplatte lag, der Schmerzen in ihren Händen endlich ledig, Aude in der Toten in jenem Haus in Radolfs Dorf, die er niemals gesehen hatte und die jetzt in der Gestalt von Minstrels Frau wiedererstand, komplett mit einem Kind im Arm, das nur einen einzigen Atemzug getan und dann nie wieder geatmet hatte.
    Raimund hatte ihm keinerlei Anweisungen mitgegeben, was er tun sollte. Sollte er auf die Lichtung

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