Der Janson-Befehl
Konsenslösung führen, die er bereits vor Beginn der Sitzung geplant hatte. Er behielt für sich, welche Lösung ihm vorschwebte, und zeigte Sympathie für Positionen, die ihm insgeheim unannehmbar schienen. Er spielte die schon vorher existierenden Spannungen zwischen den versammelten Interessenvertretern und hohen Kommissaren gegeneinander aus, führte auf subtile Weise Menschen in zeitweilige Koalitionen gegen Rivalen, die sie verachteten, steuerte die Diskussion geschickt an aufbrechenden Feindseligkeiten vorbei, so wie ein Billardspieler durch einen wohlgezielten Stoß mit seinem Queue eine komplizierte Folge sorgfältig vorausgeplanter Kollisionen herbeiführt. Und wenn der Ausschuss sich dann am Ende zu der Position durchgearbeitet hatte, die ihm von Anfang an vorgeschwebt hatte, konnte er mit einem resignierten Seufzer und gespielter Großmut sagen, die anderen im Raum Anwesenden hätten es wieder einmal geschafft, ihn zu ihrem Standpunkt zu bekehren. Es gab bürokratische Akteure, deren Ego es verlangte, dass man sie als Sieger sah. Die wahre Macht aber gehörte jenen, die der Sache wegen gewinnen wollten, gleichgültig wie andere es sahen. Viele betrachteten Zinsous höflich-zurückhaltende Art als sein eigentliches Wesen und erkannten überhaupt nicht, was für eine kraftvolle Persönlichkeit sich hinter dieser Fassade verbarg und was für eine ausgeprägte Führungspersönlichkeit dieser Mann war. Das waren Verlierer, die sich für Gewinner hielten. Einige, die Zinsou unterstützten, taten das, weil sie glaubten, ihn kontrollieren zu können. Andere, Klügere, unterstützten ihn, weil sie wussten, dass er die effizienteste Führungspersönlichkeit war, die die UN seit Jahrzehnten gekannt hatte, und weil sie sich darüber klar waren, dass die UN solche Führung geradezu verzweifelt brauchte. Es war ein Bündnis des Sieges für Zinsou und für die Organisation, der er sein Leben gewidmet hatte.
Doch jetzt musste der Virtuose des Konsenses ganz auf sich alleine gestellt operieren. Das Geheimnis, das man ihm anvertraut hatte, war von solcher Sprengkraft, dass es niemanden gab, den er mit ins Vertrauen ziehen konnte. Kein Zwiegespräch, keine Beratung, keine echte oder vorgetäuschte Diskussion. Der Einzige, mit dem er offen sprechen konnte, war dieser amerikanische Agent, mit dem Zinsou nur langsam warm wurde. Was sie miteinander verband, war nicht nur das explosive Geheimnis, es war auch das Wissen, dass ihre Gegenmaßnahmen aller Wahrscheinlichkeit nach am Ende scheitern würden. Die so genannte Zinsou-Doktrin, wie die Presse sie bezeichnet hatte, unterstützte nur Interventionen, die wenigstens eine gewisse Aussicht auf Erfolg hatten. Diese hier bestand den Test nicht.
Doch gab es eine Alternative?
Schließlich ergriff Janson wieder das Wort. »Ich will Ihnen etwas über den Mann sagen, den ich kenne. Wir sprechen von einem Menschen, dessen Verstand wie ein Präzisionsinstrument funktioniert, jemand, der zu blitzschnellen Analysen fähig ist. Er kann ungewöhnlichen Charme an den Tag legen. Und noch größere Grausamkeit. Meine ehemaligen Kollegen bei der Abwehr würden Ihnen erklären, dass Männer wie er höchst wertvolle Aktivposten sein können, solange sie von der Situation, mit der man sie konfrontiert, stark eingeengt sind. Der Fehler der Moebi-us-Planer besteht darin, dass sie ihn in einen Kontext versetzt haben, der es ihm nicht nur erlaubt, sondern ihn geradezu ermuntert hat, sein Improvisationsvermögen einzusetzen, eine Situation, in der man ihm eine unglaubliche Fülle an Macht und Reichtum beinahe zugänglich gemacht hat. Er hat den mächtigsten Plutokraten der Welt gespielt, und nur die Spielregeln haben ihn daran gehindert, jene Person tatsächlich zu sein. Also hat er seine ganze Findigkeit darauf angesetzt, die Sicherheitssperren des Programms zu überwinden. Und das ist ihm schließlich gelungen.«
»Das war nicht vorhergesehen.«
»Nicht von den Planern des Moebius-Programms. Schier unglaubliche technische Fähigkeiten in Verbindung mit außergewöhnlicher Dummheit bezüglich menschlicher Verhaltensweisen - typisch für ihresgleichen. Nein, es war nicht vorhergesehen. Aber es war vorhersehbar.«
»Von Ihnen.«
»Sicher. Aber nicht nur von mir. Ich habe den Verdacht, Sie hätten diese Risiken auch erkannt.«
Generalsekretär Zinsou ging zu seinem riesigen Schreibtisch hinüber und setzte sich. »Dieses Monstrum, dieser Mann, der uns alle bedroht - es mag ja sein, dass Sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher