Der Janson-Befehl
Prinzip.«
»Prinzipien«, meinte Janson. »Abstraktionen.«
»Ein Luxus, wollen Sie sagen.«
Ein Lächeln spielte um Mathieu Zinsous Lippen. »Und dafür ist jetzt nicht die Zeit. Jetzt ist die Zeit für Einzelheiten. Ich will Ihnen eine nennen: Ihr Plan schließt ein, dass Sie das Verhalten und die Handlungen eines Menschen vorhersagen, der vielleicht überhaupt nicht kalkulierbar ist.«
»Vorhersagen mit absoluter Sicherheit gibt es nicht. Ich verstehe aber, was Sie meinen. Und was es gibt, sind Muster - es gibt Regeln, selbst für den Mann, der alle Regeln in den Wind schlägt. Außerdem kenne ich diesen Typ gut genug.«
»Vor dem gestrigen Tag hätte ich das auch gesagt. Peter Novak und ich sind uns einige Male begegnet. Einmal bei einem Staatsbankett in Amsterdam und einmal in Ankara nach der von ihm vermittelten Zypern-Resolution - eine rein zeremonielle Veranstaltung. Ich habe die offizielle Gratulation dieser Organisation überbracht und den Rückzug der UN-Truppen von der Demarkationslinie angekündigt. Jetzt ist mir natürlich bewusst, dass ich damals einem Phantom gegenübersaß. Vielleicht war es jedes Mal ein anderer Mann - vermutlich führt das Moebius-Programm Aufzeichnungen, in denen wir uns darüber Klarheit verschaffen könnten. Aber ich muss sagen, ich habe ihn beide Male als charismatisch und äußerst liebenswürdig empfunden. Eine sympathische Kombination dieser Eigenschaften.«
»Eine, die man auch Ihnen schon zugeschrieben hat«, sagte Janson vorsichtig.
Zinsou erwiderte etwas in der musikalisch klingenden Sprache seines Volkes, der Fon. Zinsou père war ein Nachkomme des Königshofes von Dahomey gewesen, einstmals einem bedeutenden westafrikanischen Reich. »Das war ein beliebter Ausspruch meines Großonkels, des obersten Häuptlings, den er oft den speichelleckerischen Schmeichlern gegenüber äußerte, die ihn umgaben. Frei übersetzt lautet er: Je mehr du mir in den Hintern kriechst, umso mehr habe ich das Gefühl, du willst mich betrügen.«
Janson lachte. »Sie sind ein noch weiserer Mann, als man immer behauptet.«
Zinsou hob gespielt mahnend den Finger. »Ich frage mich einfach immer noch, ob Peter Novak mir das alles abgenommen oder ob er nur so getan hat. Ich frage natürlich aus verletztem Stolz. Es tut meinem Selbstwertgefühl einfach weh, dass jemand glauben sollte, ich würde wirklich die Organisation verkaufen, der ich mein ganzes Leben gewidmet habe.«
Zinsou spielte mit seinem dicken MontblancFüllfederhalter. »Aber da spricht jetzt nur mein Stolz aus mir.«
»Schlechte Menschen sind immer schnell bei der Hand, von anderen Schlechtes zu denken. Außerdem, wenn es klappt, werden Sie genug Anlass zum Stolz haben. Gelingt unser Vorhaben, wird das die größte Leistung Ihrer ganzen Karriere sein.«
Ein unbehagliches, düsteres Schweigen legte sich über sie.
Zinsou war seinen Verhaltensweisen nach kein Einzelgänger: Nach all den Jahrzehnten, die er in der UNBürokratie verbracht hatte, waren ihm Überlegungen und Konsultationen zur zweiten Natur geworden. Sein diplomatisches Geschick war meist voll davon beansprucht, Konflikte zwischen den einzelnen Bereichen der UN selbst beizulegen - Feindseligkeiten zwischen der Abteilung für Frieden erhaltende Operationen und den Leuten für humanitäre Angelegenheiten zu schlichten, zu verhindern, dass sich zwischen denen, die draußen an vorderster Front arbeiteten, und ihren Vorgesetzten in den Führungsbüros Widerstände aufbauten. Er kannte die tausend Methoden, die Bürokraten zur Verfügung standen, um Entscheidungen zu blockieren, da er selbst in seiner langen Karriere häufig Gelegenheit gehabt hatte, solche Mittel einzusetzen. Die Methoden der bürokratischen Kriegführung waren ebenso fortgeschritten und kompliziert wie die Techniken des Krieges auf den Schlachtfeldern der Welt. Es war ein Tribut an seinen eigenen Erfolg auf den inneren Schlachtfeldern, dass er so schnell so weit gekommen war. Außerdem war die bürokratische Schlacht erst dann wahrhaft gewonnen, wenn man es erreichte, dass die Besiegten glaubten, sie selbst hätten auf irgendeine Weise den Sieg davongetragen.
Die Position des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, das hatte Zinsou für sich so entschieden, glich der eines Dirigenten, der ein Orchester aus Solisten zu leiten hat. Eine scheinbar unmögliche Aufgabe, und doch war sie zu bewältigen. Wenn Zinsou in Form war, konnte er einen von Konflikten gespaltenen Ausschuss zu einer
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