Der Janson-Befehl
wirklich so gut kennen, wie Sie das glauben. Mich kennen Sie nicht. Und deshalb bin ich nach wie vor ein wenig verwirrt. Verzeihen Sie mir, wenn ich das so deutlich sage, aber das Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen, mindert zugleich auch das Vertrauen, das ich Ihnen entgegenbringe.«
»Das ist nicht sehr diplomatisch von Ihnen, nicht wahr? Trotzdem weiß ich Ihre Offenheit zu schätzen. Sie werden vielleicht erkennen müssen, dass ich Sie ein wenig besser kenne, als Sie sich das vorstellen.«
»Ah, die Dossiers, die von den Nachrichtendiensten so sehr geliebt werden, Dossiers, die von Agenten zusammengestellt wurden, die glauben, dass man für Menschen eine Art Gebrauchsanweisung erstellen kann - dieselbe Denkweise, die zum Entstehen Ihres Moebius-Programms geführt hat.«
Janson schüttelte den Kopf. »Ich will nicht so tun, als ob wir uns gekannt hätten, Sie und ich, nicht im üblichen Sinne. Aber die Stoßrichtung der Weltereignisse in den letzten zwanzig Jahren hat es mit sich gebracht, dass wir am Ende in denselben Krisengebieten Streife gegangen sind. Ich weiß, was in jener Woche im Dezember in Sierra Leone wirklich passiert ist, weil ich dort war - ich habe den gesamten Funkverkehr zwischen dem Leiter der UNFriedensmission in der Region und dem Leiter der Sonderdelegation mitgehört, der den UN-Einsatz koordinieren sollte. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass von Friedenserhaltung damals wenig die Rede war - der blutige Bürgerkrieg war praktisch außer Kontrolle geraten. Man hat den Sonderdelegierten Mathieu Zinsou aufgefordert, den Bericht und die Interventionsforderung des Kommandanten nach New York weiterzugeben. In New York sollte ihn der UN-Hochkommissar vor dem Sicherheitsrat präsentieren - der das Ersuchen eigentlich ablehnen und die Intervention untersagen wollte.«
Der Generalsekretär sah ihn mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an, blieb aber stumm.
»Wenn das geschah«, fuhr Janson fort, »würden vielleicht zehntausend Menschen unnötig massakriert werden, das wussten Sie.«
Er konnte auf Einzelheiten verzichten: Man hatte mehrere Lager von Handfeuerwaffen ausfindig gemacht, die erst vor kurzem von einem Waffenhändler in Mali angelegt worden waren. Die Befehlshaber des UN-Einsatzes hatten verlässliche nachrichtendienstliche Informationen erhalten, dass der Rebellenführer dabei war, diese Waffen einzusetzen, um eine Stammesfehde in seinem Sinn zu klären - und zwar noch vor dem nächsten Morgen. Die Männer des Rebellenführers würden die Waffen dazu benutzen, in die Region Bayokuta einzudringen, dort seine Feinde zu erschießen, Dörfer niederzubrennen und Frauen und Kinder abzuschlachten. Und das alles konnte durch einen schnellen, nicht sehr riskanten Kommandoeinsatz vermieden werden, bei dem die illegalen Waffenlager vernichtet wurden. Die moralische ebenso wie die militärische Überlegung war zweifelsfrei. Aber das bürokratische Protokoll stand im Wege.
»Und an dem Punkt wird es interessant«, fuhr Janson fort. »Was hat Mathieu Zinsou getan? Er, der Bürokrat ersten Ranges - da kann man jeden fragen. Ein Mann der perfekten Organisation. Jemand, der sich exakt an die Regeln hält. Nur dass er zugleich auch ein Fuchs ist. Innerhalb einer Stunde hat Ihr Büro ein Telegramm an die Hohe Kommission für Friedenseinsätze geschickt, ein Telegramm, das aus einhundertdreiundzwanzig Berichten und zu erledigenden Punkten bestand - jedes Stück Papier, das Ihnen zur Verfügung stand, würde ich vermuten. Und in der Depesche vergraben, Punkt siebenundneunzig vermute ich, gab es eine >Wenn nicht anders angeordnet<-Ankündigung, in der die geplante UN-Militäraktion knapp und deutlich dargestellt war, einschließlich des genauen Zeitpunkts für ihre Ausführung. Anschließend haben Sie Ihrem außerhalb von Freetown stationierten General gesagt, die zentrale UN-Kommandostelle sei über seine Pläne informiert worden und habe keine Einwände geäußert. Das entsprach im buchstäblichen Sinn der Wahrheit. Ebenso entsprach es der Wahrheit, dass die Mitarbeiter des Hochkommissars erst drei Tage nach dem Einsatz erstmals über die entsprechende Ankündigung gestolpert sind.«
»Ich habe keine Ahnung, wohin uns das jetzt führen soll«, sagte Zinsou und klang dabei gelangweilt.
»Zu dem Zeitpunkt gehörte die ganze Aktion bereits der Geschichte an - ein eindrucksvoller Erfolg, eine ohne irgendwelche Opfer abgelaufene Aktion, die den Tod vieler Tausender unbewaffneter Zivilisten
Weitere Kostenlose Bücher