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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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griff er in seine Jackentasche und brachte eine Patrone zum Vorschein. Glänzende Messinghülse, mattgraues Bleigeschoss. Er stellte sie wie eine winzige Artilleriegranate aufrecht vor sich hin. Dann stieß er sie um und rollte sie unter seinen Fingern auf der Tischplatte hin und her. Als Nächstes legte er sie sorgfältig vor sich hin und schnippte sie so mit der Fingerspitze an, dass sie auf mich zurollte. Sie beschrieb eine elegante weite Kurve und machte dabei ein leicht dröhnendes Geräusch auf dem Holz. Ich ließ sie über die Tischkante rollen und fing sie mit einer Hand auf. Die Patrone war eine Remington Kaliber 44 Magnum ohne Stahlmantel. Sie war schwer, wog wahrscheinlich über zwanzig Gramm. Ein brutales Ding. Kostete bestimmt so um einen Dollar.
    »Haben Sie schon mal russisches Roulett gespielt?«, fragte er.
    »Ich muss den Wagen wegschaffen, den ich gestohlen habe«, erklärte ich.
    »Den haben wir schon weggeschafft«, meinte er.
    »Wohin?«
    »Wo er nicht gefunden wird.«
    Er sprach nicht weiter. Ich sagte nichts, sah ihn nur an, als fragte ich mich: Ist das etwas, das ein gewöhnlicher Geschäftsmann tun würde? Und würde er seine Autos auf Scheinfirmen zulassen? Und sofort wissen, was ein Colt Anaconda im Einzelhandel kostete? Und dafür sorgen, dass die Fingerabdrücke eines Gastes an einem Whiskyglas zurückblieben?
    »Haben Sie schon mal russisches Roulett gespielt?«, wiederholte er seine Frage.
    »Nein«, sagte ich. »Noch nie.«
    »Ich werde bedroht«, sagte er. »Und ich habe gerade zwei Männer verloren. In solchen Zeiten braucht man zusätzliche Männer, statt welche zu verlieren.«
    Ich wartete und tat so, als hätte ich Mühe, den Sinn des Gesagten zu begreifen.
    »Sie schlagen mir vor, bei Ihnen anzuheuern?«, fragte ich dann. »Ich weiß nicht, ob ich bleiben kann.«
    »Ich schlage nichts vor«, entgegnete er. »Ich treffe eine Entscheidung. Sie sehen aus wie ein Mann, der brauchbar ist. Und wenn ich Sie will, kriege ich Sie. In Massachusetts ist ein Cop erschossen worden, und ich habe Ihren Namen und Ihre Fingerabdrücke.«
    »Aber?«
    »Aber ich weiß nicht, wer Sie sind.«
    »Daran müssen Sie sich gewöhnen«, sagte ich. »Woher wissen Sie, wer irgendjemand ist?«
    »Das bekomme ich raus«, sagte er. »Indem ich Leute auf die Probe stelle. Was wäre, wenn ich Sie auffordern würde, einen weiteren Cop zu erschießen? Als Beweis Ihres guten Willens?«
    »Ich würde nein sagen. Ich würde wiederholen, dass das mit dem ersten ein unglücklicher Zufall war, den ich sehr bedaure. Und ich würde mich zu fragen beginnen, was für ein gewöhnlicher Geschäftsmann Sie eigentlich sind.«
    »Mein Geschäft geht nur mich etwas an. Darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen.«
    Ich schwieg.
    »Spielen Sie russisches Roulett mit mir«, sagte er.
    »Was würde das beweisen?«
    »Ein Federal Agent würde es nicht tun.«
    »Weshalb machen Federal Agents Ihnen Sorgen?«
    »Auch darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen.«
    »Ich bin kein Federal Agent«, sagte ich.
    »Dann beweisen Sie’s mir. Spielen Sie russisches Roulett mit mir. Ich meine, ich spiele gewissermaßen schon russisches Roulett mit Ihnen, nur indem ich Sie in mein Haus einlasse, ohne genau zu wissen, wer Sie sind.«
    »Ich habe Ihren Sohn gerettet.«
    »Und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Dankbar genug, um weiterhin auf zivilisierte Art mit Ihnen zu sprechen. Dankbar genug, um Ihnen vielleicht Zuflucht und einen Job anzubieten. Weil ich etwas für Männer übrig habe, die tatkräftig handeln.«
    »Ich bin nicht auf der Suche nach einem Job«, sagte ich. »Ich will irgendwo für achtundvierzig Stunden unterkriechen und dann weiterziehen.«
    »Hier wären Sie völlig sicher. Wir würden uns um Sie kümmern. Niemand würde Sie jemals finden. Und wir würden von einer für beide Seiten lohnenden Beziehung profitieren. Wenn Sie den Test bestehen.«
    »Das russische Roulett ist der Test?«
    »Der unfehlbare Test«, sagte er. »Meiner Erfahrung nach.«
    Wir schwiegen beide. Dann beugte sich Beck in seinem Stuhl nach vorn.
    »Sie sind entweder für oder gegen mich«, sagte er. »Eines von beiden werden Sie gleich beweisen. Ich hoffe aufrichtig, dass Sie eine kluge Wahl treffen.«
    Duke bewegte sich. Unter seinen Füßen knarrte eine Diele. Ich horchte auf das Meer. Die Tümpel zwischen den Felsen liefen voll und wieder aus. Gischt spritzte hoch, und der stürmische Wind ließ schwere Schaumflocken an die

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