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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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ich mit dem übrigen Personal in der Küche aß. Der Riese aus dem Wachhäuschen an der Mauer ließ sich nicht blicken, aber Duke und ein weiterer Typ, den ich für eine Art Hausmeister und Mädchen für alles hielt, erschienen zum Abendessen. Ein Dienstmädchen und die Köchin vervollständigten unsere Runde. Wir saßen zu fünft an einem einfachen Tisch aus Kiefernholz und aßen ebenso gut wie die Familie oben im Speisezimmer. Möglicherweise besser, denn vielleicht hatte die Köchin in ihr Essen gespuckt. Ich hatte genügend Erfahrung mit Unteroffizieren und Mannschaften, um zu wissen, wie solche Dinge ablaufen.
    Beim Essen wurde nicht viel gesprochen. Die Köchin war eine säuerliche Person Anfang sechzig. Das junge, unscheinbare und ziemlich schüchterne Dienstmädchen schien noch nicht lange hier zu sein. Sie wusste nicht recht, wie sie sich benehmen sollte. Zu ihrem formlosen Baumwollkleid trug sie eine Strickjacke, dazu klobige Schuhe mit flachen Absätzen. Der Hausmeister war um die fünfzig, hager, grauhaarig, schweigsam. Auch Duke war schweigsam, weil er nachdachte. Beck hatte ihn vor ein Problem gestellt, und er überlegte, wie er damit umgehen sollte. Konnte er mich einsetzen? Konnte er mir trauen? Er war nicht dumm. Das war offensichtlich. Er sah die Schwierigkeiten und war durchaus bereit, sich mit ihnen zu befassen. Er musste so ungefähr in meinem Alter sein und hatte eines dieser hässlichen, von Maisbrei aufgedunsenen Gesichter, die sich im Alter kaum verändern. Er war ungefähr so groß und schwer wie ich. Ich saß neben ihm, aß meinen Teller leer und bemühte mich, die Fragen zu stellen, die man von einem normalen Menschen erwarten konnte.
    »Erzähl mir mehr übers Teppichgeschäft«, sagte ich in einem Tonfall, der erkennen ließ, dass ich vermutete, Zachary Beck verdiene sein Geld in Wirklichkeit mit ganz anderen Geschäften.
    »Nicht jetzt«, erwiderte Duke, als meinte er: Nicht vor dem Personal! Und dann starrte er mich auf eine Art an, die nur bedeuten konnte: Weiß ohnehin nicht, ob ich mit einem Kerl reden will, der verrückt genug ist, um sechsmal hintereinander sein Leben aufs Spiel zu setzen.
    »Die Patrone war nicht echt, stimmt’s?«, erkundigte ich mich.
    »Was?«
    »Kein Pulver drin«, sagte ich. »Wahrscheinlich nur etwas Watte.«
    »Warum soll sie nicht echt gewesen sein?«
    »Ich hätte ihn damit erschießen können.«
    »Wieso hättest du das tun wollen?«
    »Ich hätte es nicht tun wollen, aber er ist ein vorsichtiger Mensch. Das hätte er nicht riskiert.«
    »Ich hab dich in Schach gehalten.«
    »Ich hätte zuerst dich erschießen können und danach ihn mit deiner Pistole.«
    Er versteifte sich leicht, sagte aber nichts. Er mag keine Konkurrenz. Ich konnte ihn nicht besonders gut leiden. Was mich nicht weiter störte, weil ich davon ausging, dass er schon bald auf der Verlustliste stehen würde.
    »Hier, nimm«, sagte er.
    Er holte die Patrone aus seiner Jackentasche und drückte sie mir in die Hand.
    »Warte hier«, befahl er.
    Er stand auf und verließ die Küche. Ich stellte die Patrone vor mich hin, genau wie’s Beck getan hatte. Dann aß ich auf. Es gab keine Nachspeise, keinen Kaffee. Als Duke zurückkam, baumelte an seinem rechten Zeigefinger einer meiner Colts. Er ging an mir vorbei zum Hinterausgang und nickte mir zu, ich sollte mitkommen. Ich griff nach der Patrone und folgte ihm hinaus. Die Tür piepste, als wir hindurchgingen. Ein weiterer Metalldetektor, der fast unsichtbar im Türrahmen angebracht war. Aber es gab keine Alarmanlage. Für ihre Sicherheit verließen sie sich im Haus auf das Meer, die Mauer und den Bandstacheldraht.
    Vor der Küchentür gab es eine feuchtkalte Veranda, von der eine klapprige Windfangtür auf den Garten hinter dem Haus führte, der aus der Spitze der felsigen Landzunge bestand. Sie war knapp hundert Meter breit und erstreckte sich halbkreisförmig vor uns. Das aus dem Haus kommende Licht fiel auf grauen Granit. Der Sturm heulte, und ich sah die Schaumkronen auf dem Meer leuchten. Die Brandung toste. Vor dem tief über der Kimm stehenden Halbmond jagten Wolkenfetzen vorüber. Die Luft war kalt. Als ich nach oben sah, konnte ich über mir das Fenster meines Zimmers erkennen.
    »Patrone«, befahl Duke.
    Ich gab sie ihm.
    »Sieh her«, sagte er.
    Er steckte sie in die Trommel des Revolvers, schlenkerte kurz mit der Hand, damit sie einrastete. Kniff die Augen zusammen und klickte die Trommel weiter, bis die Kammer mit der Patrone

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