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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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anderen Tischende nieder.
    »Ich bin Zachary Beck«, sagte er.
    »Jack Reacher«, erwiderte ich.
    Duke schloss lautlos die Tür und lehnte seinen massigen Körper von innen dagegen. Im Raum herrschte zunächst Schweigen. Ich konnte das Meer hören. Nicht das rhythmische an den Strand brausende Wogen, sondern eine sich ständig an Felsen brechende Brandung.
    »Also«, begann Beck. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Drink. Irgendeine bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem niedrigen, schweren Glas. Scotch oder Bourbon. Er nickte Duke zu. Der griff nach dem zweiten Glas, das auf einem Sideboard für mich bereitstand. Es enthielt die gleiche Flüssigkeit. Er trug es etwas unbeholfen, weil er es zwischen Daumen und Zeigefinger nur ganz unten anfasste. So durchquerte er den Raum und beugte sich leicht nach vorn, um das Glas sorgfältig vor mir abzustellen. Ich lächelte schwach. Ich wusste, wozu es diente.
    »Also«, sagte Beck wieder.
    Ich wartete.
    »Mein Sohn hat mir Ihr Dilemma geschildert«, erklärte er. Genau diesen Ausdruck hatte seine Frau benutzt.
    »Das Gesetz unbeabsichtigter Folgen«, sagte ich.
    »Diese Sache bringt mich in Schwierigkeiten«, fuhr er fort. »Ich bin nur ein gewöhnlicher Geschäftsmann, der festzustellen versucht, wo seine Verantwortlichkeit liegt.«
    Ich wartete.
    »Wir sind Ihnen natürlich dankbar«, sagte er. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch.«
    »Aber?«
    »Hier geht’s um rechtliche Fragen, nicht wahr?« Das sagte er mit leichter Verärgerung in der Stimme, als wäre er das Opfer von Schwierigkeiten, die sich seiner Kontrolle entzogen.
    »Die Sache ist ganz einfach«, entgegnete ich. »Sie brauchen nur ein Auge zuzudrücken. Wenigstens zeitweise. Eine Hand wäscht die andere. Wenn Sie so was mit Ihrem Gewissen vereinbaren können.«
    Danach schwiegen wir wieder. Ich horchte auf den Atlantik. Zachary Becks Blick irrte ziellos umher. Sein Gesicht war schmal, das Kinn nicht sehr ausgeprägt, seine Stirn nachdenklich gerunzelt. Die Augen standen ziemlich dicht beieinander. Die schmalen Lippen waren geschürzt. Er wiegte leicht den Kopf und spielte die Rolle eines gewöhnlichen Geschäftsmanns, der mit schwer wiegenden Problemen kämpft.
    »War’s ein Fehler?«, fragte er.
    »Der Cop?«, sagte ich. »Aus jetziger Sicht schon. Als es passierte, habe ich nur versucht, von dort wegzukommen.«
    Er überlegte eine Weile, dann nickte er.
    »Okay«, sagte er. »Unter diesen Umständen sind wir vielleicht bereit, Ihnen zu helfen. Wenn wir können. Sie haben der Familie einen großen Dienst erwiesen.«
    »Ich brauche Geld«, sagte ich.
    »Wofür?«
    »Um reisen zu können.«
    »Wann?«
    »Gleich jetzt.«
    »Ist das klug?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Am liebsten würde ich ein paar Tage warten, bis die Wogen sich geglättet haben. Aber ich will mein Glück bei Ihnen nicht überstrapazieren.«
    »Wie viel Geld?«
    »Fünftausend Dollar müssten reichen.«
    Er äußerte sich nicht dazu. Begann wieder, sich im Raum umzusehen. Diesmal war sein Blick jedoch etwas mehr fokussiert.
    »Ich habe ein paar Fragen an Sie«, sagte er. »Bevor Sie uns verlassen. Falls Sie uns verlassen. Zwei Dinge sind vor allem wichtig. Erstens: Wer waren sie?«
    »Wissen Sie das nicht?«
    »Ich habe viele Konkurrenten und Feinde.«
    »Die so weit gehen würden?«
    »Ich bin Teppichimporteur«, antwortete er. »Das war nicht mein Berufsziel, aber es hat sich so ergeben. Sie glauben vermutlich, dass ich nur mit Kaufhäusern und Innenarchitekten Geschäftsbeziehungen pflege, aber in Wirklichkeit habe ich Kontakt mit allerlei zwielichtigen Personen in ausländischen Slums, in denen versklavte Kinder gezwungen werden, achtzehn Stunden am Tag zu arbeiten. Ihre Besitzer sind durchweg davon überzeugt, dass ich sie betrüge und ihre Kultur ausbeute. Und das tue ich vermutlich auch – allerdings nicht mehr als sie selbst. Das sind keine Leute, mit denen der Umgang Spaß macht. Damit mein Unternehmen floriert, brauche ich eine gewisse Robustheit. Und die brauchen meine Konkurrenten ebenfalls. Erfolg haben in der Teppichbranche nur die Robusten. Denke ich also an meine Lieferanten und Konkurrenten, fallen mir ein halbes Dutzend Leute ein, denen ich zutraue, meinen Sohn zu entführen, um sich an mir zu rächen. Schließlich hat das vor fünf Jahren bereits einer von ihnen getan , wie er Ihnen bestimmt erzählt hat.«
    Ich gab keine Antwort.
    »Ich muss wissen, wer sie waren«, sagte er, als meinte er das ernst.

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