Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Brust nicht mehr die Trauer aufsteigt, wie Rauchzeichen aus der Vergangenheit aufsteigen, sondern etwas ganz anderes, etwas, das fliegen kann. Alegría, auch die Freude ist eine Gitarrensaite.
Sieben Tage im Reich der Angst
(Nordkorea)
N ordkorea ist weit weg. Etwa achttausend Kilometer östlich von uns und locker fünf Jahrzehnte in der Vergangenheit. Manchmal denkt man, es könnte auch Science-fiction sein. Überall sind Lautsprecher, um das Volk um sieben Uhr morgens mit Musik zu wecken. Und es hört bis zum Abend nicht mehr auf. Alle Straßen, alle Plätze, alle öffentlichen Gebäude werden damit beschallt, auch die Fabriken, Schulen und Kasernen, und es ist immer dasselbe Stück, dasselbe Lied, opernhaft vorgetragen, leicht hysterisch, sehr hohe Tonlage. Es erinnert stark an die Musik, die in dem Film «Mars Attacks!» die Köpfe der Marsmännchen platzen läßt. Wer den Film nicht kennt, mag sich seine Oma vorstellen, die unter dem Einfluß von Eierlikör den ganzen Tag Arien stemmt. Das ist kein Witz. Genau so hört sich das an, was da aus allen Lautsprechern des Landes dringt. Permanent. Was bewirkt das? Was macht das mit Menschen?
Ich hörte die so ambitionierte wie totalitäre Musik zum ersten Mal auf dem Flughafen von Pjöngjang, gleich nach der Landung. Dort sah ich auch zum ersten Mal diese übermißtrauischen Augen unter den für meinen Geschmack zu großen Uniformmützen der Soldaten. Sie sahen den Feind in mir, den Spion, oder, noch schlimmer, einen Journalisten. Paß bloß auf, gleich gibt’s was auf die Rübe, das in etwa war mein Gefühl, doch dann wurden wir in den Ankunftsraum für VIPs geführt, wo uns eine unheimlich nette Delegation aus zivil gekleideten nordkoreanischen Politikern und Aufpassern die Handys wegnahm und Tee servierte.
Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel führte zunächst durch ein sattgrünes Land und erinnerte mich an einen autofreien Sonntag in Deutschland. Auf der sechsspurigen Straße begegnete uns zwar dann und wann auch mal ein Auto, aber ansonsten schien sie für Fahrradfahrer, Fußgänger und Eichhörnchen gebaut. Die Wahrheit ist, daß Militärkolonnen im Ernstfall auf ihr recht zügig vorankommen würden, aber so ernst war die Lage wohl gerade nicht.
Also freie Fahrt bei hoher Geschwindigkeit bis Pjöngjang, und noch bevor wir das Hotel erreichten, fielen mir zwei Dinge auf. Erstens: So wie Indianer keinen Alkohol vertragen, kommen Kommunisten mit Beton nicht klar. Der Triumph der Platte, der Unfarbe Grau, überall. Als zweites fiel ins Auge, daß Nordkoreaner sich anscheinend gern synchron bewegen. Sobald eine Gruppe zusammen ist, minimum acht Personen, formiert sie sich zur Kolonne und marschiert in Zweier- oder Viererreihen, statt spazierenzugehen. Wohlgemerkt, nicht alle bewegen sich in Formation, aber immerhin doch so viele, daß man ständig irgendwo eine Kolonne sieht. Kinder marschieren zur Schule, Arbeiter zur Baustelle, Soldaten zur Kaserne oder am Fluß Taedong entlang.
Zwei hohe, finstere Türme mit einer Lobby dazwischen und komplett verwanzt – das war das Hotel. Überall wird abgehört, in den Zimmern, den Fluren, den Restaurants. Ab sofort mußte man aufpassen, was man sagt, also schwieg ich beim Essen und überließ das Reden denen, die wissen, wie es geht. Zu Tisch saßen der deutsche Politiker Hartmut Koschyk, in dessen Delegation ich nach Nordkorea gereist war, der deutsche Botschafter Thomas Schäfer und die Nordkoreaner, die uns vom Flughafen abgeholt hatten und jetzt sehr viel lachten.
Es gibt falsches Lachen, mit Sicherheit, und es gibt böses Lachen, aber irgendwie ordne ich Lachfalten, die wie ein Strahlenkranz ins Gesicht eingebrannt sind, immer nur dem guten Lachen zu. Neben solchen Leuten sitze ich eigentlich ganz gern und schaue ihnen auch gern in die Augen. Ri Jong ist ein kleiner älterer Herr. Entspannt und, wie es scheint, von gutmütigem Charakter. Und das darf eigentlich nicht sein, denn der Mann ist ein Abgeordneter in der Obersten Volksversammlung von Nordkorea, also ein Politiker im letzten stur-stalinistischen Staat auf Erden, gegen den Kuba wie ein sozialistischer Club Med wirkt und China wie die Wiege der Menschenrechte. Hier wird laut Amnesty International jeder geprügelt, gefoltert und exekutiert, der nur die kleinste Kritik am System übt. Hier sollen in Arbeitslagern zweihunderttausend politische Gefangene der Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt sein, rund zwanzigtausend von ihnen sterben jährlich. Und
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