Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
zweieinhalb Millionen Nordkoreaner starben in den durch Mißwirtschaft ausgelösten Hungersnöten der neunziger Jahre, während die Streitkräfte des Landes die drittstärksten in Asien sind. Nur China und Indien sind militärisch noch stärker, aber seitdem Nordkorea Atomwaffen besitzt und sich allen bilateralen Abkommen entzieht, zählt dieses «noch stärker» weniger als zuvor. Darum wollen die Nachbarn atomar aufrüsten, und wenn das geschieht, ist in Südostasien die Hölle los. Nordkorea ist brandgefährlich. Nordkorea ist Stalins, Maos und Pol Pots ewiger langer Arm, und ich speise in einem «Schurkenstaat» am fernöstlichen Ende der «Achse des Bösen», aber der Abgeordnete Ri Jong wirkt absolut nicht wie ein Schurke, sondern wie ein freundlicher Kleingärtner, der seine Enkelkinder und Briefmarken liebt. Vielleicht ist er nur professionell. Ri Jong ist Diplomat. Zuständig für Europa und Deutschland, und in seiner Funktion als Vorsitzender des Asien-Friedenskomitees ist er auch zuständig für die Beziehungen zu den USA, Japan und Südkorea. Er hat in der DDR studiert, er spricht Deutsch, trotzdem redet er mit uns auf koreanisch und läßt sich unsere Worte übersetzen.
Der Bundestagsabgeordnete Hartmut Koschyk hält eine Rede zum Stand der Dinge. Als Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe hat er das Land bereits viele Male besucht. Er kennt sich mit dem Temperament und der Mentalität der Nordkoreaner aus. Er sagt nicht, was ich sagen würde: Hört mal, Jungs, das könnt ihr im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr machen, euer Volk verhungern lassen und mit der Atombombe rumfuchteln. Außerdem kotzen uns Menschenversuche mit Giftgas und Viren an inhaftierten Oppositionellen an, und daß Beten verboten ist, kann uns ebenfalls nicht gefallen. Also hört auf mit dem Scheiß, und dann gibt’s auch Knete. Und Getreide. Und Heizöl. Ihr laßt euer Volk im Winter bei zwanzig Grad minus ohne Heizung sitzen und empfehlt den Menschen, Gras und Kräuter zu essen. Ihr seid doch nicht ganz dicht. Nein, so redet Hartmut Koschyk nicht. Der CSU-Mann lobt zunächst das nordkoreanische Bier, das wir trinken, die nordkoreanischen Gerichte, die wir speisen, und die Schönheit der nordkoreanischen Frauen, von denen uns eine bedient. Er lobt die klassische nordkoreanische Medizin, hier insbesondere die nordkoreanischen Chiropraktiker, für die es, wie fürs Bier, Verwendung in Berlin gebe, er lobt die nordkoreanischen Trickfilmer und den nordkoreanischen Ginseng, und als ich schon glaube, er wird jetzt auch noch die Kopfballstärke der nordkoreanischen Fußballerinnen loben, bekommt er die Kurve und beginnt sich über die kleinen, aber feinen Fortschritte in Richtung atomarer Abrüstung zu freuen sowie darüber, daß die Gespräche zwischen Nord- und Südkorea wiederaufgenommen wurden. Wenn Deutschland da mit Rat und Tat zur Seite stehen könne, tue es das gern, denn, wie wir alle wissen, sei ja auch Deutschland mal geteilt gewesen.
Das ist Diplomatie. Sie ist das Gegenteil von Journalismus. Sie sagt nie, wie leer das Glas ist, sondern immer nur, wie voll und daß es nicht schaden könne, es noch ein bißchen voller zu machen. Weil MdB Hartmut Koschyk so schön geredet hat, reden auch die Nordkoreaner schön, und so wurde es ein schöner Abend, und warum kann das eigentlich nicht auch in der großen Politik so gehen? Ich dachte noch lange darüber nach, als ich in meinem Zimmer war. Ich hatte die Zeit, über so was nachzudenken, denn der Jetlag ließ mich nicht schlafen, und ausgehen konnte ich nicht. Es gibt in der nordkoreanischen Zwei-Millionen-Metropole Pjöngjang nichts, wohin man gehen kann. Keine Kneipe, keine Bar, kein Restaurant, keine Diskothek, kein Café. Eine Stadt ohne Gastronomie, ohne Unterhaltungsindustrie. Eine Nacht ohne Musik und Tanz und Lichterglanz. Niemand bummelt. Niemand jagt seinem Traum hinterher. Wie ich hörte, sind die Straßen abends menschenleer. Bezeugen kann ich es nicht, denn obwohl die beiden hohen, dunklen Türme des Hotels unterbelegt waren, hatte man uns im einundzwanzigsten Stock einquartiert. Von da aus sieht man nichts. Und mit dem Fahrstuhl runterfahren, um nachzusehen, ging auch nicht, denn nachts sind die Fahrstuhlknöpfe für die drei unteren Etagen deaktiviert. Ein merkwürdiges Gefühl befiel mich. Zu dem Gefühl paßte, daß man mir am Flughafen nicht nur das Handy, sondern auch den Reisepaß abgenommen hatte. Willkommen im Gefängnis.
Tags darauf
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