Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
und uns drei Wünsche erfülle, fragte er. Das sei oft passiert und somit Fakt, diskussionswürdig bleibe lediglich, ob es wirklich immer Gott gewesen sei. Der Teufel könne dasselbe.
«Ja, davon habe ich gehört», antwortete ich. «Aber mir ist bisher so etwas noch nie geschehen. Nicht einmal Ähnliches.»
«Irgendwann ist immer das erste Mal», sagte der Besucher.
Ich glaubte ihm nicht, natürlich nicht, aber ich lebe vom Geschichtenerzählen, und hier bahnte sich eine an.
«Also?» fragte er.
«Was also?»
«Die werten Wünsche.»
«Sie wollen also wirklich behaupten, daß Sie …»
«Nicht Sie. Sag du zu mir.»
«Das schlägst du vor, weil du der Ältere bist?»
«Ja.»
Ich war wirklich über der Deadline. Möglicherweise auch jenseits meines Nervenkostüms. Ich hatte dringend zu tun. Ich hätte mir ohne weiteres wünschen können, auf der Stelle mit der Arbeit fertig zu sein. Aber ich tat es nicht. In solchen Situationen, egal ob man an sie glaubt oder sie nur als Spiel begreift, wünscht man sich Dinge, die sich Kinder wünschen. Ich bin ein Schreibtischkind. Neben meinem Computer steht seit langer Zeit ein kleiner silberner Sportwagen, gekauft in einem Modellauto-Geschäft in Wien. Er ist wunderschön. Man kann die Türen und den Kofferraum öffnen, man kann auf dem Beifahrersitz Vitamintabletten, Traubenzucker und Feuerzeuge plazieren, und als ich nun meinem merkwürdigen, aber amüsanten Besucher in die Augen sah, die lachten und funkelten und neugierig blickten, wünschte ich mir im Spaß – und ein bißchen im Ernst –, klein genug zu sein, um in das Modell zu passen. Das verlangte eine Verkleinerung im Maßstab 1 : 35, und es geschah sogleich.
Ich war einigermaßen von den Socken. Erstens, weil hier ein Wunder geschah, und zweitens, weil die Folgen dieses Wunders atemberaubend waren. Mein Schreibtischstuhl ist mehr ein Schreibtischsessel, und nun war seine Rückenlehne aus schwarzem Leder plötzlich so hoch wie eine zweistöckige Hauswand, der Schreibtisch war ebenfalls im Maßstab 1 : 35 gewachsen, und mein Besucher auch. Er sah jetzt tatsächlich allmächtig aus.
«O. k., du hast noch zwei Wünsche frei», dröhnte er. «Im Grunde nur noch einen, denn den letzten solltest du dir dafür reservieren, wieder in die gewohnte Dimension zu wechseln, oder nicht?»
Ich kletterte die Armlehne des Stuhls hoch, um auf den Schreibtisch zu kommen, ging an der Tastatur und der Marlboro vorbei und war bei dem Wagen. Ein wirklich wunderschönes Exemplar. Ich umrundete ihn, streichelte ihn hier und da, öffnete schließlich die Tür und setzte mich rein. Klar, daß nun der Spaß erst mal zu Ende war. Also Wunsch Nummer zwei.
«Mach, daß die Karre fährt.»
«Du meinst, wie das Original? Das wären acht Zylinder und sechshundert PS.»
«Und vergiß die Stereoanlage bitte nicht.»
«Dein Wunsch beinhaltet selbstverständlich alles, was serienmäßig ist. Der Schlüssel steckt.»
Es wurde augenblicklich bequemer. Die Sitze waren nun aus echtem Leder, und ich warf den Motor an. Der Sound überwältigte mich, aber fahren konnte ich noch immer nicht, weil ein kühn geschwungenes Kabel mir den Weg versperrte und hinter dem Wagen mein Globus stand. Der Schreibtisch war einfach zu vollgemüllt. Ich wollte keinen Wunsch daraus machen, sicher nicht, ich diskutierte nur mit ihm:
«Hör mal, mich mitsamt dem Auto vom Schreibtisch auf den Teppichboden zu bringen, nein, besser noch, auf die Straße, braucht eigentlich kein Wunder», sagte ich.
«Nein, das geht auch so.»
«Und zählt bei dir ein Wunsch, der keine Wunder verlangt?»
Er lachte, und wenig später stand ich mit dem Auto auf der Straße. «Gute Fahrt!» sagte er, als er mich abgesetzt hatte. «Und vergiß nicht: Der nächste Wunsch ist der letzte.»
«Nee, geht klar. Aber wäre es möglich, mich und den Wagen zusammen groß zu wünschen?»
«Nein.»
«Warum nicht?»
«Das wäre spirituell unkorrekt.»
Na, dann nicht. Unsere Straße liegt ein bißchen versteckt, es muß deshalb niemanden wundern, daß sie zu diesem Zeitpunkt unbefahren und friedlich war. Ich konnte in Ruhe die Lage sondieren. Mein Besucher hatte mich direkt neben dem Bürgersteig abgesetzt, der höher als das Auto war, und auch mein Blick auf die Straße hatte sich verändert: Sie war jetzt dreihundertfünfzig Meter breit und fünfunddreißigmal länger als normal. Ich hatte also zwei schnurgerade Kilometer bis zum Landwehrkanal. Ein Wort noch zum Motor. PS
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