Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Rest der Nacht nach oben. Mondsüchtig. Lichtsüchtig. Und wenn ich meine Hände betrachtete, war mir, als seien sie ein bißchen durchsichtig. Es war wunderschön. Um den Mond hatten sich Ringe gelegt. Nie habe ich ein so vollkommenes Mandala gesehen.
Unter Schleppern
(Neu-Delhi)
I ch hatte große Probleme. Ich war zu schwach, um mein Gepäck zu tragen. Im Grunde konnte ich nicht mal gehen. Aber ich mußte gehen, ich mußte sogar schnell sein. Schneller als die Diarrhöe. Vielleicht war es auch eine Amöbenruhr, kombiniert mit ein bißchen Malaria. Wenn die Dinge so stehen, setzt man sich auf jede Toilette. Selbst auf die vom Indira-Gandhi-Flughafen, zwanzig Kilometer hinter Neu-Delhi.
Natürlich wollte der Toilettenmann Trinkgeld, nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte. Wofür, war mir nicht ganz klar. Die Toilette hätte ohne ihn auch nicht anders ausgesehen. Ich fand einen Fünf-Rupien-Schein, gab ihn dem Mann und wusch mir die Hände noch mal. Gemeinhin sagt man ja, Geld stinkt nicht. Man sagt vieles, was nicht stimmt.
Ich schleppte mich in die Schalterhalle zurück. Um drei Uhr zwanzig in der Nacht sollte mein Flug nach Frankfurt starten. Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Jetzt war es irgendwas um dreiundzwanzig Uhr. Also noch vier Stunden in Indien. So, wie ich das sah, war das eine lange Zeit.
Vier Stunden also noch, bevor es wieder etwas gab, was nicht nur nach Cola aussah, sondern auch so schmeckte. Vier Stunden noch, bevor das Wasser aus den Mineralwasserflaschen tatsächlich Mineralwasser war und nicht die Suppe, die aus allen Hähnen dieser Stadt in gebrauchte Wasserflaschen gezapft wird. Vier Stunden noch, bevor es wieder Salat gab, der nicht gleichzeitig mit dem Geschirr von gestern gewaschen worden ist.
Dreieinhalb Stunden vor Abflug kam Bernd endlich des Weges, auch er mit Diarrhöe, allerdings im Anfangsstadium, das heißt, er konnte noch Witze machen und Ausreiseformulare ausfüllen, und weil der Schalter unserer Fluglinie noch immer nicht geöffnet hatte, erzählte er mir zum Zeitvertreib eine Geschichte. Die Geschichte, wie er bei einer großen, namhaften Bank im Zentrum von Neu-Delhi versucht hatte, mit seiner Visakarte Bargeld zu bekommen. Wäre ich nicht so schwach gewesen, hätte ich den Mund aufgemacht, um ihm zu sagen, daß er sich das sparen kann. Ich weiß, wie so was abläuft: In jeder indischen Bank arbeiten dreimal so viele Angestellte wie nötig, aber keiner ist zuständig. Das ist das eine, was verwundert. Das andere ist die Art, wie sie deinen Reisepaß halten, bevor sie dir sagen, daß sie nicht zuständig sind. Falsch herum. Und das dritte ist die Auskunft, daß sie auf Kreditkarten grundsätzlich nur nachmittags Geld auszahlen, nachmittags die Bank aber geschlossen hat.
Wie im übrigen die Paßkontrolle, drei Stunden vor Abflug. Da saß zwar ein uniformierter Mensch, und er tat auch erst gar nicht so, als hätte er was zu tun, er wollte einfach nur die Hand mit dem Ausreisestempel nicht heben. «Come back» , sagte er, «one hour.» Als wir fragten, warum, sagte er dasselbe noch mal.
Ist das nun böser Wille? Schwer zu sagen. Das Goethe-Institut in Neu-Delhi würde wahrscheinlich behaupten, es sei die dunkle Seite einer Philosophie, deren helle die Gleichmut und das erhabene Schweben über den Nichtigkeiten des Alltags ist. Aber das Goethe-Institut hat es zu seinem Glück hauptsächlich mit den Denkern der Nation zu tun, wir aber mit dem Rest.
«Change money, mister? Very good price, mister. You want to see shop of my brother? You want to see shop of my cousin? You want to see shop of my brother’s cousin? You want to make tour? Hashish? What hotel? What room? You like lady? You like carpet?» Diese Sprüche kommen von fünf Schleppern gleichzeitig, die Straßen rauf und runter.
Am ersten Tag machte ich den Fehler, mit ihnen zu reden. «No, thank you.» Das waren eindeutig zwei Wörter zuviel. Dann sagte ich nur noch «no» , was auch nicht half, und als ich endlich raushatte, daß man in Delhi am besten mit einem leistungsstarken Walkman am Ohr durch den Staub, den Smog und die Hitze wandelt – etwa zu diesem Zeitpunkt setzte die Diarrhöe ein, und ich wandelte überhaupt nicht mehr.
Ich lag auf einer Wiese, um durch die Blätter eines Baumes in den Himmel zu sehen, wo Glücklichere als ich in den Flugzeugen saßen, und mußte mich als erstes eines Masseurs erwehren. Ich schaffte es nicht. Er massierte mich einfach. Gleichzeitig machte sich ein
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