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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Souvignier und Hinrich das anders sehen. Denn Hinrich hat nicht nur zwei Romane geschrieben, er ist inzwischen auch ins hiesige Immobiliengeschäft eingestiegen. «Red dich nicht raus», sagt er, «du hättest vor zehn Jahren kaufen MÜSSEN, und das einzige, was du tun kannst, um diesen Fehler zu korrigieren, ist, JETZT zu kaufen, denn sonst wirst du dich in zehn Jahren wieder schwarz ärgern. Der Boom ist nicht zu bremsen. ALLE wollen Riads. Und so viele gibt es nicht mehr.»
    Wie recht er hat. Insgesamt gibt es gut siebenhundertfünfzig Riads in der Medina. Zwei Drittel davon sind bereits in ausländischer Hand. Eine Stadt verkauft ihr Herz. Warum? Blöde Frage. Geld! Irre viel Geld. Zweihunderttausend Euro kostet hier ein Haus. Das sind zwei Millionen Dirham. Damit finanzieren die ehemaligen marokkanischen Besitzer Eigentumswohnungen in der Neustadt, ein hübsches Auto und das Studium der Kinder. Sie sind mit einem Schlag in die gehobene Mittelklasse aufgestiegen, sie haben an Aladins Wunderlampe gerieben. Daß sie dabei auch etwas verlieren, kriegen sie erst später mit. Denn was ist ein Riad?
    Ein Riad ist die mit den Mitteln der Architektur erzählte Geschichte vom richtigen Leben. Die Außenmauern sind eineinhalb Meter dick, also schützend, und unscheinbar, also neidabweisend, genauso wie die Tür. Man weiß nie, ob sich eine Hütte oder ein Palast dahinter verbirgt. Wenn es Fenster zur Gasse gibt, dann nur kleine, wie Schlitze, alle richtigen Fenster öffnen sich zu der Oase, die im Grunde jeder der Innenhöfe ist. Ich habe es mal Wohnzimmer ohne Dach genannt.
    Egal, wie man es sich da sonst noch einrichtet («Antik, Antik!»), drei Elemente müssen sein: Erde, Wasser, Feuer, das heißt Bäume, Brunnen, Kerzen, und in diesem ewigen Geplätscher, Gezwitscher und Geflackere wohnt die gesamte Familie, von den Großeltern bis zu den Enkeln, ihr Leben lang. Das hat schon was, an einem Brunnen aufzuwachsen, an dem man auch sterben wird. Und nie allein zu sein, im Sinne von einsam, im Sinne von Verelendung. Es gibt viel Armut und Arbeitslosigkeit in Marokko, aber wenig Elend. Die Großfamilie fängt traditionell ihre Problemfälle auf. Das ist es, was sie mit ihren Riads verlieren, aber es braucht seine Zeit, bis diese Erkenntnis reift. Flotter geht es mit der Erkenntnis, daß sie ein Geschäft nicht nur verpassen, sondern vergeben: Von den fünfhundert Riads, die in ausländischer Hand sind, werden dreihundertfünfzig als Medina-Hotel genutzt. Eine merkwürdige Entwicklung. Touristen verdienen an Touristen, das kann ein Marokkaner nicht gut finden. Wenn er ehrlich ist.
    Thema Gefahr: Ica Souvignier muß lachen, wenn sie darüber spricht. «Als ich in Deutschland erzählt habe, daß wir uns ein Haus in Marokko kaufen wollen, haben alle gesagt: IHR SEID VERRÜCKT! Die haben wirklich geglaubt, in Marokko wird man null Komma nix abgemurkst. Das Gegenteil ist der Fall.» Ich bestätige das. Hier wird man nicht umgebracht, hier werden einem Kinder angehängt, aber das ist kein Thema auf diesem Dach. Auf diesem Dach geht es darum, in welche Richtung das Daybed auf der Terrasse ausgerichtet werden soll, das Familienbett mit den Polstern und Kissen, auf denen man zusammen kuscheln kann, wenn einem danach ist, vom Mond geküßt zu werden. Aber Vorsicht! Es gibt Traditionen. Früher gehörten die Dächer von Marrakesch ausschließlich den Frauen; nur sie durften auf das Dach, als Ausgleich dafür, daß in den Cafés nur Männer saßen. Inzwischen gestalten sie das moderater, und das haben wir geschafft, wir Ausländer. Trotzdem sollte man darauf achten, die Dachaktivitäten nicht zu Ibiza-ähnlich zu gestalten, wie mein Freund Tom, der mal auf dem Dach meines Hauses Yoga machte. Nackt. Die Frauen des Nachbarhauses waren nicht nur gläubige Musliminnen, sie waren auch wenig rumgekommen, sie wußten nichts von Yoga und Atemtechniken, für sie waren die Bewegungsabläufe der «Sieben Tibeter» Pornographie, und zwar IN ZEITLUPE. Anschließend flogen Steine. Ein Hagel von Steinen. Der Hausherr hatte sich betrunken und wollte Tabula rasa machen. Ein gutes Beispiel übrigens dafür, wie unterschiedlich Moralbegriffe sind. Aus seiner Sicht war der nackte Tom reif für die Hölle, aber aus unserer Sicht war der Mann auch nicht koscher, denn er betrieb Vielweiberei, Polygamie ist in Marokko legal, alle vier Frauen auf seinem Dach gehörten ihm. Vier Frauen, acht Hände, plus seine zehn, und alle warfen Steine. Wir mußten Omar

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