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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Draa nach Zagora. Am zweiten Tag das Tal des Draa wieder ein Stück zurück bis Tansikth, und am Abend erreichen wir noch vor Sonnenuntergang Merzouga, wo das Meer der «Grandes Dunes» beginnt. Und dann rein. Aber nein, wird Mohammed, Habib, Mustafa oder Abdul sagen, Zagora und das Tal des Draa brauchen wir nicht. Laßt uns lieber hinter den Bergen gleich auf Merzouga zuhalten. So sparen wir einen Tag. Hört nicht auf sie. Hört auf mich. Und warum überhaupt einen Fahrer? Warum nicht einen Wagen mieten und selber fahren? Die Straßen sind gut, der Verkehr zivil, hinter Marrakesch dünnt er ohnehin zusehends aus. Sprecht ihr Französisch? Dann werdet ihr alle modernen Marokkaner unterwegs verstehen. Sprecht ihr Arabisch? Dann versteht ihr auch alle Alten. Und wenn ihr sogar die Sprache der Berber sprecht, könnt ihr euch wirklich mit allen unterhalten, die ihr am Wegesrand und in den Oasen trefft. Aber wenn nicht, erweist sich ein Fahrer, der diese Sprachen beherrscht und außerdem beim Anblick der Serpentinen des Tizi-n-Test-Passes nicht die Nerven verliert, als sehr nützlich.
     
    Unserer heißt Mohammed. Weil er eine Verlobte in Düsseldorf hat, spricht er sogar Deutsch. Und kennt ein bißchen meine Mentalität. Kanadierinnen wie Jane und Zada fährt er dagegen zum ersten Mal, und sie sind auch zum ersten Mal in Marokko, das heißt, die Sehnsucht nach dem Kamel beherrscht die Gespräche in dem Minibus, sobald wir die Stadttore von Marrakesch hinter uns gelassen haben. Warum eigentlich? Warum ist dieses Tier die Summe all dessen, was man vom Orient will? Weil es dreißig Liter in der Minute trinkt? Weil es so anmutig ist? Weil man mehrere davon zu einer Karawane formieren kann? Als wir die Nordhänge des Hohen Atlas erreichen, haben wir noch keins gesehen.
    Es braucht knapp eine Stunde bis zu den Bergen und drei, bis man rüber ist, aber man kriegt im Hohen Atlas die Zeit nicht mehr mit, weil hier alles links und rechts von der Straße «very, very, very beautiful» ist. Zadas Art, mit der Sprache umzugehen, gefällt mir. Das erste «very» betont sie normal, das zweite zieht sie ein wenig in die Länge, das dritte in die Tiefe. Man kann’s auch so sagen: Das erste «very» kommt aus dem Kehlkopf, das zweite aus dem Herzen, das dritte aus dem Bauch. Zada meint die Täler, Schluchten und bewaldeten Berghänge, die Felder, Bäche und Wasserfälle, die Farbe Lila in einem Meer von Blüten, die Berber-Dörfer, die sich an Felsen schmiegen, die Berber-Burgen, die Pässe bewachen, und so langsam nähern wir uns den Serpentinen. Waren bisher das Kamel und die wilde Schönheit des Hohen Atlas Thema, dominiert am Tizi-n-Test-Paß das Interesse an Fahrzeugtechnik unser Gespräch. Ob die Bremsen in Ordnung seien, die Reifen nicht abgefahren und ob er wisse, was er tue, wird Mohammed nun gefragt, denn wir können die Straße von hier etwa siebenmal über uns sehen, wie sie sich in engen Schleifen und mit absurden Steigungen ohne Leitplanken auf 2260 Meter windet.
    Die Berge trennen Welten. Sobald wir den Paß überquert haben und die Südhänge des Atlas hinuntergerollt sind, empfangen uns andere Farben, andere Gerüche, anderes Licht. Aber Kamele sehen wir noch immer nicht. Kurz bevor die schmale Straße nach Zagora von der breiten nach Ouarzazate abzweigt, versucht es Mohammed deshalb noch einmal: «Helge, ich verstehe dich nicht», sagt er so laut, daß es jeder im Wagen mitkriegt. «Warum willst du unbedingt diesen Umweg machen? Wenn wir geradeaus weiterfahren, sind wir heute abend am Ziel.»
    «Der Weg ist das Ziel, Mohammed.»
    «Aber das gilt auch für den direkten Weg nach Merzouga.»
    «Nein, für den gilt es nicht.»
    Nur zwanzig Prozent der Sahara sehen so aus, wie wir es aus dem Kino kennen. Also Sand. Und Dünen. Und Oasen. Achtzig Prozent dagegen sind Stein, Geröll und Kieswüste. Eine äußerst öde Landschaft, in der hier und da etwas Stacheliges wächst und Schlangen leben. Auch Skorpione, Warane und mit Waranen verschwisterte Echsen. Bis zum Horizont keine Abwechslung, unter einem flirrenden Hitzekegel werden wir bei hoher Geschwindigkeit und beengten Verhältnissen viele Stunden nichts anderes sehen. Mohammed gefällt das, weil die Straße breit und schnurgerade ist, auf ihr muß er wenig schalten und bremsen. Das ist gut für sein Auto und gut für seine Nerven. Außerdem sind an der direkten Straße nach Merzouga die großen Restaurants, Teestuben und Hotels, die Provisionen an die Fahrer zahlen, wenn

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