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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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gezielten Hammerschlägen auf antik veredeln, und für dieses zugegebenermaßen große Stück Holz will Kalid eine Million? Euro?! Und die Tür darf trotzdem Marokko nicht verlassen? Und wer zahlt die fünf Millionen, damit er sie doch über die Grenzen mitnehmen kann? Antwort: Hollywood. Brad Pitt & Co zahlen diese Preise. Auch das begann vor etwa fünfzehn Jahren.
    Ouarzazate, das Tor zur Sahara, ist nur hundert Kilometer von Marrakesch entfernt. Seit Jahrzehnten waren hier ab und an große Filme gedreht worden, «Lawrence von Arabien» zum Beispiel, aber das war europäisches Kino. Hollywood entdeckte die marokkanische Wüste erst Mitte der neunziger Jahre. Ideale Location, billige Statisten, stabile politische Lage. «Der englische Patient», «Gladiator», «Troja», «Alexander», alles Filme, die in der Umgebung von Ouarzazate entstanden, und nach den Dreharbeiten hat man sich halt noch Marrakesch angeschaut. So kam die Crème der internationalen Stars in die Stadt, ihre Produzenten, Kameraleute, Beleuchter, Visagisten, der ganze Berufsstand der Traumverkäufer, und alle sagten dasselbe: «Hey, das ist hier geiler als im Film» und «Hey, das hätte Spielberg auch nicht besser hingekriegt», diesen Irrgarten an Gäßchen, Treppen, Torbögen, diese verzauberten Ecken, seit Hunderten von Jahren im Dornröschenschlaf, wie diese Mauer, auf die man blickt, wenn man von der Rue Zitoune in die Rue El Guondasi einbiegt. Rosen wachsen aus den Mauerritzen, irgendwie haben sie das fertiggebracht, und Schwalben nisten in dem Torbogen, der von der Mauer eingerahmt wird, und das satte Grün der Palme klebt geradezu auf Gottes unendlicher Leinwand, und am Horizont sind die Gipfel des Hohen Atlas zu sehen, schneebedeckt.
    In der Rue El Guondasi wohnt seit zwei Jahren Michael Souvignier mit seiner Familie. Sie kennen den Namen nicht? Dann sind Sie kein Star. Die kennen ihn. Seine Film- und Produktionsfirma «Zeitsprung» gehört zu den erfolgreichsten in Deutschland. Er hat «Das Wunder von Lengede» gemacht, er hat Til Schweiger nach Hollywood gebracht, er hat Uma Thurman zu Gast, wenn sie in Marrakesch ist, also oft, nur als ich kam, war sie nicht da. Seine Tochter Gala – Umas Patentochter – empfängt mich. Die Eltern sind auf dem Dach.
    Was für Häuser in anderen Gegenden der Pool ist oder das zum Grundstück gehörende Stückchen Strand, das ist für die Häuser von Marrakesch das Dach. Tagsüber fürs Sonnenbad, nachts als Sprungbrett zu den Sternen. «Himmel über der Wüste», der Film wurde auch in Marokko gedreht. Und er hat recht: Die Gestirne leuchten hier intensiver als bei uns, schärfer, akzentuierter, ich bin daran schon fast einmal durchgedreht, weil ich eine Zeitlang Nacht für Nacht versucht habe, die Distanzen zwischen den Sternen nicht nur intellektuell (irgendwelche Zahlen), sondern emotional zu begreifen. So was habe ich in Deutschland nie gemacht. Außerdem ist es jetzt zu früh dazu. Ein sonniger Nachmittag im Winter (fünfundzwanzig Grad), da nutzt man das Dach, um den Trommeln zuzuhören, die vom Djemaa el Fna herüberwehen (Djemaa el Fna? Ich komme noch drauf), und sich in Lobpreisungen des Anblicks zu ergehen, ein Meer von Dächern, Terrassen, Minaretten und Palastmauern, auf denen unsere Störche nisten, und es ist auch zu verstehen, daß die Marokkaner das genau umgekehrt sehen: Das sind UNSERE Störche, sagen sie, nur im Sommer, wenn es zu heiß in Marrakesch wird, ziehen sie zu euch. Unsere Störche, eure Störche, ich schweife ab, glaube ich, und das haben Michael Souvignier und seine Familie nicht verdient. Eine wunderbare Familie, zwei Kinder, ein Hund und Hinrich, der Freund.
    Hinrich überwacht seit einigen Monaten den Umbau des Hauses und hat in dieser Zeit nebenbei zwei Romane geschrieben. Das Phänomen kenne ich. In Marrakesch schreibt es sich praktisch von selbst, weil es sich auch von selbst malt. Und von selbst träumt. Die Phantasie erwacht in dieser Stadt mit einer Macht, die mir manchmal nicht geheuer ist. Engel und Dämonen scheinen hier zu wohnen, massenhaft. Man kauft sie mit der Immobilie, und selten weiß man vorher, ob man die dunklen oder die hellen Geister kriegt, es gibt ausgemachte Unglückshäuser in der Stadt, in denen nichts gelingt und Ehen kaputtgehen, und wenn ich es recht bedenke, dann war das Haus von Mustafa eines von den bösen, und ich sollte mich freuen, daß er es mir damals nicht verkauft hat, sondern dem deutschen Botschafter. Klar, daß die Familie

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