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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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rüberschicken, um die Wogen zu glätten. Omar, ich erwähne ihn bereits zum zweiten Mal. Jeder Ausländer braucht einen besten Freund in Marrakesch, einen, der Wogen glättet, Handwerker besorgt und gute Laune macht. Meiner ist Omar.
    Omar hat mir damals mein erstes Haus klargemacht. Es war klein und stand direkt neben einer Moschee. Siebenmal pro Tag rief der Muezzin zum Gebet. Das erste Mal um fünf Uhr früh. Das ging o.   k. Erstens gewöhnte ich mich daran und wachte nicht mehr auf, zweitens fand ich interessant, was die Marokkaner sagten (der Gedanke, den du hast, wenn der Muezzin beginnt, wird wahr), und drittens mag ich grundsätzlich ihren Gesang. In Marrakesch kommt er nicht, wie in Istanbul, vom Band. Er ist live, und weil es in Marrakesch eine Menge Moscheen gibt und jeder Sänger der beste sein will, tobt siebenmal pro Tag ein heiliger Sängerwettstreit in dieser Stadt. Das ist nicht schlecht. Zum Problem wurde aber dann, daß der Muezzin aus meiner Nachbarschaft krank wurde und sein Sohn den Job übernahm. Und der war unmusikalisch. So unmusikalisch, daß ich mir überlegte, wie es wäre, wenn ich rüberginge und ihn umniete. Also besorgte Omar mir mein zweites Haus, das von Mustafa. Keine Moschee nebenan und riesengroß. Ich wohnte dort mit meiner marokkanischen Freundin, mit der Freundin meiner Freundin, mit der Köchin und mit deren Assistentin. Unterm Strich waren das auch vier Frauen. Ich denke an die Zeit wie an ein verlorenes Paradies.
    Weil Mustafa zwar fast jeden Tag kam, um die Frauen zu begaffen, aber mir trotzdem das Haus nicht verkaufen wollte, und aus noch einer Reihe von Gründen mehr, verließ ich 1995 Marokko und kam erst 2002 zurück, und Omar, als wäre nichts geschehen, saß wie immer am Djemaa el Fna, ach ja, der Djemaa el Fna: der Platz, der wie die Nabe eines Rades in der Mitte der Medina liegt und von der Unesco den Titel «Weltkulturerbe» erhielt. Die ganze Stadt dreht sich um ihn, vornehmlich in den frühen Abendstunden von sechs bis zehn.
    Früher wurden auf ihm Todesurteile vollstreckt, daher der Name, Djemaa el Fna, Platz der Gehenkten. Aber das war ziemlich früher, in den letzten Jahrhunderten gehörte der Djemaa el Fna ausschließlich den armen Kreativen, also den Gauklern, Artisten, Schlangenbeschwörern, Zähneziehern, Märchenerzählern et cetera, und so ist es auch heute und wird es auch bleiben, denn die letzte Attacke der Moderne wurde souverän abgewehrt. Irgendwelche Politiker, ich nenne jetzt extra keine Namen, waren der Meinung, daß das Personal unserer orientalischen Träume vom Platz gehört, und wollten statt dessen dort so spannende Sachen wie CD- und DVD-Verkaufsstände etablieren. Daraus wurde nichts, denn die Unesco hatte was dagegen. Der Djemaa el Fna blieb weiter der größte authentische Volksrummelplatz der Welt, auch die Trommler machen weiter, jeden Abend von sechs bis zehn, so laut, daß man sie in der ganzen Medina hört, und so schnell, daß man davon wacher wird als von Kaffee, und erregter. Am besten ist natürlich beides, und das am besten auf der Terrasse des «Café Glacier», womit ich wieder bei Omar bin, denn er sitzt dort eigentlich jeden Tag, auch an dem meiner Rückkehr, und zack besorgte er mir das dritte Haus, wieder zur Miete, und wieder will der Besitzer nicht verkaufen. Ich habe wirklich Pech.
    Mein jetziger Nachbar ist Richard Branson, der Boß von Virgin. Als ich neulich aus dem Haus trat, kam er mit einer Karawane von britischen Popstars die Gasse entlang, so die Liga Annie Lennox, nicht die Liga Elton John, aber immerhin.
    Warum wollen alle ein Haus in Marrakesch? Warum mieten sie sich nicht, wenn ihnen danach ist, im teuersten Hotel Afrikas, dem «Mamounia», ein? Weil man im «Mamounia» keine Wände einreißen kann, ohne erheblichen Ärger zu riskieren. Das Umbauen bringt den Spaß. Die hohe Schule des Tourismus: Man geht nicht mehr durch orientalische Kunsthandwerker-Gassen, um orientalischen Kunsthandwerkern beim Arbeiten zuzusehen, nein, man arbeitet mit ihnen; die Baumaterialien werden per Eselkarren herbeigeschafft, und alles für ’n Appel und ’n Ei, denn die Preise für Sand und Zement und ebenso die Löhne sind, aus was für Gründen auch immer, nicht mitexplodiert. Ein einfacher Arbeiter kostet acht Euro und sein Meister zehn Euro. Pro Tag. So baut es sich unverzagt.
    Worum es den meisten geht, ist die Kombination von Tausendundeiner Nacht mit der (relativen) Ewigkeit mitteleuropäischer Wertarbeit. Das

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