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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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wird der Wunsch wach, da einzuziehen, da zu Hause zu sein, und weil es weder der internationalen High-Society noch den Hollywood-Größen an Mitteln mangelt, haben sie das auch gemacht. Madonna hat ein Haus in Marrakesch, Alain Delon hat ein Haus in Marrakesch, Isabelle Adjani oder auch Mick Jagger, das sind wenige Namen von fünfhundert, die den Immobilienmarkt in Marrakesch kaputtmachen, kaputt für Leute wie mich, es sei denn, ich strenge mich noch ein bißchen mehr an.
    Es gibt zwei Gründe für diese Entwicklung. Die eine hat mit idealen Produktionsbedingungen für historische Filme zu tun, die andere mit einer Charakterschwäche der Marokkaner, und beides begann etwa Mitte der Neunziger. Damit mich niemand mißversteht: Ich bin felsenfest der Ansicht, daß Licht und Schatten überall auf der Welt ausgewogen sind, es gibt kein Volk, das schlechter oder besser als das andere ist, alle spielen mit den gleichen Karten, sie mischen sie nur anders. Die Marokkaner sind große Musiker, große Tänzer, große Geschichtenerzähler und unheimlich gut beim Handeln. Das ist ihr Kapital. Ihre Schwäche ist eine gewisse Dreistigkeit, sie würden es Konsequenz nennen. Tatsache ist, daß man nicht einen Meter durch die Medina von Marrakesch gehen konnte, ohne daß die Schlepper, Händler und Bettler wie Fliegen an einem klebten; abwimmeln ließen sie sich nicht, man wurde sie nicht los, es sei denn, man kannte den Zaubersatz, das Losungswort: «Ana Marrakchi, mon ami», ich wohne in Marrakesch, mein Freund, das hat’s dann gebracht. Aber wer konnte das schon von sich sagen vor fünfzehn Jahren? Ich und noch zwei Dutzend andere aus dem westlichen Ausland, laß es drei Dutzend gewesen sein oder auch vier, mehr waren es nicht, «Ana Marrakchi, mon ami», war ziemlich exklusiv seinerzeit, die Mehrzahl der Touristen kannten das Losungswort nicht und verließen von Schleppern, Neppern und Basarflegeln entnervt die Stadt, um vielleicht nie wiederzukommen.
    Der Tourismus ging massiv zurück, und der Tourismus war das einzige, was Marrakesch hatte. Die Orangen wurden woanders gepflückt, die Bodenschätze woanders gehoben, das Haschisch war woanders – ohne Touristen verarmte die Stadt, und als das Tourismusministerium erkannt hatte, woran der Rückgang der Besucherzahlen lag, hat es durchgegriffen, marokkanisch durchgegriffen, also eher hart. Eine Reihe neuer Gesetze wurde erlassen. Es war verboten, ohne staatlich autorisierten Ausweis Touristen durch die Medina zu führen. Das beinhaltete das Verbot, Touristen diesen Dienst anzubieten, und das beinhaltete das Verbot, Touristen anzusprechen. Eine Armee zivil gekleideter Polizisten bezog in den Gassen Stellung, um die Einhaltung der neuen Gesetze zu überwachen. Wer sie zum ersten Mal brach, bekam vierundzwanzig Stunden Gefängnis und zweitausend Dirham Geldstrafe. Beim zweiten Mal lagen dann schon zwei Monate Knast und zwanzigtausend Dirham an. Das sind zweitausend Euro. Also das Jahresgehalt eines Handwerkers, eines Kellners, eines Taxifahrers. Dafür, daß man einen Touristen belästigte.
    Heute faßt dich niemand mehr an und hält dich fest und folgt dir auf Schritt und Tritt und redet ununterbrochen auf dich ein, heute geht es sich durch die Medina von Marrakesch wie durch die Altstadt von Heidelberg. Leider aber auch fast zum selben Preis. Ich sage «fast», weil Heidelberg billiger ist. «Antik, Antik!» Sie erinnern sich? Ich ging zu Kalid, einem der größten Antiquitätenhändler am Markt, er selbst war nicht da, aber der Verkäufer war smart. Ich fragte ihn so dies und das. Was kostet diese Lampe? Zwanzigtausend Euro. Und diese Vase? Fünfzehntausend Euro. Und dann fragte ich nach seinem teuersten Stück. Was hier kostet mehr als alles andere? Er zeigte mir eine große, alte Tür, vier Meter hoch und drei Meter breit. Die koste genau eine Million Euro, aber sie würden die Tür an niemanden verkaufen, der sie aus Marokko herausbringen wolle. Sie müsse in Marokko bleiben, denn sie habe ursprünglich dem Gründer und Erbauer von Fez gehört.
    Omar war mit mir in diesem Geschäft, und ihm zuliebe bewahrte ich Haltung, aber sobald wir wieder auf der Gasse waren, brach es aus mir heraus, das Lachen, die Empörung, der fast schon kollegiale Neid. Was für eine Geschichte?! Die Stadt Fez ist die älteste der alten Königsstädte, und ihr Begründer ist ein heiliger Mann. Ich kenne die Werkstätten vor den Toren von Marrakesch, wo sie Türen wie diese mit Speiseöl, Säuren und

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