Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
sehr. Sie war in meinen Augen noch schöner geworden, aber nicht anziehender. Mit Toms Mädchen verhielt es sich umgekehrt. Wegen ihrer schönen Intelligenz, die auf Koks mehr zählt als ein schöner Arsch. Und es gefiel mir nicht, daß sie mit Tom gegangen war. Um mich nicht weiter mit Nana zu langweilen, sprach ich mit Bruder Fliegenschiß, der sich als Gegner der Revolution erwies und gleichzeitig als Pessimist. Er glaubte nicht mehr daran, daß die Zeiten sich ändern würden, und fürchtete, Fidel sei unsterblich. Und warum sollte er arbeiten, wenn er doch nichts verdiente? Mit nichts meinte er zweihundert kubanische Pesos monatlich.
«Weißt du, wieviel Dollar das sind?» fragte er.
«Zehn.»
Der Rum am Malecón hatte also die Hälfte und das Gramm Koks das Vierfache des kubanischen Einheitslohns gekostet, und schon in den nächsten Stunden würde ich in Havanna einen Lebensstil zu entwickeln beginnen, der in seiner Blüte Monat für Monat hundert Jahren Arbeit für den kubanischen Einheitslohn entsprach, obschon Nana zunächst billig war. Sie führte mich nach Toms Rückkehr in einen Raum, von dem es weiter auf einer Leiter nach oben ging. Vor der Leiter schlief ein alter Mann auf dem nackten Boden. Wir stiegen über ihn, und weil Nana vor mir auf der Leiter war, konnte ich bei der Gelegenheit ihre Beine ohne Abstriche sehen. Unten lag der Alte wie ein Toter, oben wartete das Liebesnest. Die ganze Welt schien zwischen diesen Polen, und als wir endlich an dem Bett angelangt waren, wußte ich eines ganz klar: Darauf werde ich mich nicht einmal setzen. Möglich waren jede Art von Insekten, Wanzen und Milben, möglich waren außerdem Sackratten, Aids, Krätze, Tripper und Syphilis, denn ein Präservativ hatte weder sie noch ich.
«Fucky, fucky?» fragte Nana.
Als wir wieder bei den anderen waren, hatten plötzlich alle Kubaner im Zimmer Hunger auf Hühnchen. Wir nahmen die Hühnchen im Hotel Caribbean zu uns. Jedes der Mädchen aß zwei, das macht vier, Vogelnests Bruder aß auch zwei, also sechs, dafür gingen drei kubanische Monatsgehälter weg, plus die Dollar für das Bier. Nana blieb zwei Nächte und anderthalb Tage bei mir. Pro Stunde ein Hühnchen. Es sind die Hühnchen, die auf Kuba ins Geld gehen. Die Mädchen sind billiger.
Zurück auf der Straße, empfing mich Willenlosigkeit. Ich hatte meinen Kompaß verloren. Wäre ein Außerirdischer vorbeigekommen, er hätte mich mitnehmen können, egal wohin. Also liefen wir in die Richtung, in der die Sonne aufgegangen war. Normales kubanisches Straßenleben begann, und ich konnte niemandem in die Augen sehen, es schien mir, als beleidigten sie meine Existenz. Den anderen ging es genauso. Fünf aneinandergekettete Seelen schrien nach einem Versteck.
La Habana ist eine spanische Stadt, angelegt wie Barcelona und Madrid und ein bißchen wie Palma de Mallorca, und sie hat selbstverständlich eine Rambla, eine Prachtchaussee, die vom Parque Central schnurgerade zum Meer hinunterführt. In der Mitte ist der Boulevard mit den Bäumen und Bänken, an den Seiten stehen die schönsten Häuser der Stadt, in einigen Fällen allerdings sieht man auch nur Fassaden und Balkontüren ohne Balkon. Vor einem großbürgerlichen Hauseingang hielt Vogelnests Bruder an und weckte zwei Stockwerke höher zwei alte weißhaarige Damen, deren Vorfahren aus der spanischen Provinz Galicien kamen und ihr Blut offensichtlich niemals mit dem Blut ihrer Sklaven vermischt hatten. Das Leben hatte ihnen eine Haut wie Pergament verpaßt. Von ihrer ehemals weitläufigen Wohnung hatten sie noch die Küche, zwei Zimmer und ein Klo. Sie boten uns Kaffee und ihre Betten an.
Zehn Dollar pro Bett und pro Stunde. Tom und Vogelnest gingen ein paar Stufen höher, Nana und ich bekamen das Bett direkt neben der Küche, in der sich die Damen ihr Frühstück machten. Ein Vorhang aus der Volksrepublik China trennte uns von ihnen. Ich konnte sie reden hören. Das Radio ging an. Leiser Salsa im Rahmenprogramm. Wir lagen auf dem Rücken und rauchten, zu sagen hatten wir uns nichts. Als ich sie anfaßte, zuckte sie zusammen und drehte sich zur Seite. Das alte Spiel. Als wir am Bett des Dünnen standen, wollte sie fucky, fucky, aber ich wollte nicht, jetzt will sie nicht, aber ich. Was heißt wollen? Was wollte ich? Ganz bestimmt keinen Sex, nur ein bißchen streicheln, ein bißchen Liebe, ein bißchen Geborgenheit, ein bißchen Wärme, ein bißchen Nicht-allein-Sein in dieser Scheißheimatlosigkeit, die jeder
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