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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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er die Geister der Toten frage, warum sich Papa erschossen hat. Eine Investition von zwanzig Dollar. Und schön zu fotografieren. Das Bild Hemingways zwischen Knochen und angefaulten Fischköpfen, bespuckt mit Rum, Rauchschwaden schwerer Zigarren, ein Voodoo-Interview. «Totaler Quatsch», sagte Frederico. «Blödsinn hoch drei. Ist das alles, was du drauf hast? Wenn das wirklich alles ist, was du drauf hast, dann laß uns jetzt zu seinem Haus fahren.»
    «Und was soll Carlos da fotografieren?»
    «Gar nichts. Er kann da ja Ansichtskarten vom Haus kaufen. Ich war nämlich schon mal da.»
    «Ich auch.»
    «Ach ja?»
    Ich nervte ihn tatsächlich. Langsam nervte er mich auch. Carlos blieb neutral und stieg im Taxi vorne ein. Der Weg zu Hemingways Haus führte durch Stadtteile von Havanna, die ich lange nicht gesehen hatte, einige Straßen kannte ich überhaupt nicht, das machte mich neugierig, zumal es kaum noch Touristen zu sehen gab. Kuba pur. DDR unter Palmen, hatte es der deutsche Boulevard früher genannt. Ein System, das aus der Kälte kam, wurde in der Hitze der Karibik zu etwas gemacht, das man lieben konnte. Wo zeigt Nylon-Stretch aus volkschinesischen Produktionsstätten dermaßen Wirkung wie auf Kuba? Man weiß es nicht. Carlos fotografierte sich warm. Aber das Straßenschild mit dem Kopf von Hemingway hatte er nicht gesehen. «Wäre nicht schlecht gewesen», sagte Frederico. «Stimmt», sagte ich. Irgendwo an einer kubanischen Landstraße schaut der größte Schriftsteller des Jahrhunderts auf diese Mischung von Exotik und Tristesse. Abgasumnebelt.
    Sollen wir den Taxifahrer umkehren lassen? Keiner stellte diese Frage laut. Es war zu heiß. Und was soll der Scheiß? Auch von diesem Straßenschild gibt es tausend Fotos. Tausendundeins. Gott, schenke mir eine Idee. Und da war sie. Vielleicht noch keine Idee, aber ein Weg zu ihr: «Wie hätte Hemingway dieses Problem gelöst?» fragte ich Frederico.
    «Er hätte solche Jobs gar nicht mehr gemacht.»
    O ja, das saß.
    Hemingway bekam, als er so um die dreißig war, für die Filmrechte von «Wem die Stunde schlägt» hundertachtzigtausend Dollar, was heute wahrscheinlich der Summe von vier oder fünf Millionen Dollar entspricht, und für zwanzigtausend Dollar hat er sich auf Kuba ein Haus gekauft. Ein Herrenhaus. Auf einer Anhöhe gelegen, nur über einen Privatweg zu erreichen. Früher. Heute gibt es hier keine privaten Wege mehr.
    Drei uniformierte Wächterinnen standen neben dem Schlagbaum und wollten Geld. Eine von ihnen war schön. Carlos, ganz Portugiese, scherzte mit ihr, und sie gab schnell ihre spröde Haltung auf. Sie verlangte drei Dollar Eintritt für jeden, insgesamt zwölf. «Wieso zwölf?» fragte Carlos. «Der Taxifahrer zahlt nichts.»
    «Okay», sagte die Schöne und zeigte auf seine Kameras, «aber du zahlst noch mal fünf Dollar fürs Fotografieren. Oder bist du ein Profi?»
    Carlos: «Warum?»
    Sie: «Profis zahlen das Doppelte.»
    Carlos: «Ich bin Amateur.»
    Jedes über fünfzig Jahre alte kubanische Haus ist ein schönes Haus. Von Spaniern gebaut, von Mafiosi, von französischen Feuerzeugherstellern (Dupont), was weiß ich. Hemingways Haus hat zwei Terrassen, eine für den Sonnenaufgang, eine für den Sonnenuntergang, der Garten erstreckt sich über den Hang, durch große Fenster kann man in hohe Räume sehen. Betreten darf man sie nicht. Hier also wohnte der König der Worte. Und hier hat er geschrieben. Was schrieb er hier, Frederico? «Der alte Mann und das Meer.»
    Gott der Schreiber, schaue mit Fassung auf mich herunter! Ich stehe an deinem Fenster wie auf einer Hühnerleiter zum Olymp. Sie hat nur vier Sprossen, die oberste ist der Nobelpreis für Literatur. Wessen Ziel der Nobelpreis ist, höre ich einen alten Freund sagen, der wird es wahrscheinlich zum Bestseller bringen. Wer nur vom Bestseller träumt, wird selten mehr als ein guter Autor. Und wer ein guter Autor werden will, der wird ein guter Chefredakteur. Stimmt das, Hemingway? Wenn ja, dann drängt sich mir folgende Frage auf: Wonach muß ein Schreiber trachten, damit der Nobelpreis sein Trostpflaster wird?
    Es ist bemerkenswert, daß es auf Kuba nur zwei Boote gibt, die fern vom Wasser wie auf einer Bühne stehen. Die «Granma» in Havanna, mit der Castro und Che im Osten der Insel landeten, und die «Pilar» in Hemingways Garten. Eine Kubanerin bewachte es. Ein Boot für die Hochseefischerei mit einem Sitz im Heck, für den, der die Angel hält. Zielgruppe: die Großen.

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